Langstreckenfahrt ins Ungewisse
Peking - Paris 1907

 

 

 

99 Jahre vor der diesjährigen Langstreckenfahrt Paris - Peking startete in Peking die erste transkontinentale Langstreckenfahrt der Automobilgeschichte. Ursprünglich als Demonstration der Überlegenheit des Automobils gegenüber dem Pferd gedacht, entwickelte sich die kollegiale RAID sehr schnell zum beinharten Rennen, das mit allen Tricks ausgetragen wurde.
Am 31. Januar 1907 erschien in der französischen Tageszeitung LE MATIN ein Aufsehen erregender Aufruf: „Gibt es jemanden, der in diesem Sommer im Automobil von Paris nach Peking fahren möchte?“

 

 

 

 

 Die französische Tageszeitung LE MATIN initiierte 1907 das verrückteste Autorennen der Geschichte

 

Unter den Lesern mag diese Frage zunächst nur Kopfschütteln hervorgerufen haben. Schließlich war es gerade 21 Jahre her, daß Karl Benz das Automobil in Form eines dreirädrigen „Patent-Motorwagens“ erfunden hatte. Erst vor 13 Jahren hatte das erste Autorennen von Paris nach Rouen stattgefunden, bei dem von 21 Teilnehmern gerade 15 angekommen waren, darunter neun Fahrzeuge mit Panhard-Levassor-Motoren nach Daimler-Lizenz und ein 3-PS-Benz vom Typ „Vis-à-Vis“. Und jetzt von Paris nach Peking, also die hundertfache Distanz?

 

Doch die Initiatoren vom LE MATIN meinten es ernst. Sie verfolgten das Ziel, die technische Überlegenheit des Automobils gegenüber dem Pferd zu beweisen und trafen damit den Abenteurergeist der Zeit. Schon nach einem guten Monat zählte das Starterfeld der RAID, wie das Rennen bald genannt wurde, 62 Fahrer und Mechaniker.
Doch je näher der Termin der Verschiffung Richtung China rückte – in der Zwischenzeit war das Rennen aus Wettergründen in der Richtung gedreht und die Abfahrt nach Peking verlegt worden –, desto mehr bröckelten Ehrgeiz und Courage. So blieben zuletzt nur noch elf Wagemutige in fünf Fahrzeugen übrig, die am 10. Juni 1907 in Peking an den Startplatz rollten.

 

 

 

 

Peking 1907: Start zum ersten transkontinentalen Autorennen der Geschichte.

 

 

 

Fürst Scipione Borghese ging in einem italienischen Itala mit 40 PS auf die Strecke. Charles Godard lenkte einen holländischen Spyker mit 15 PS, begleitet von einem Reporter des LE MATIN. Zwei weitere Automobile, französische De Dion Boutons mit 10 PS, wurden von den Franzosen Collignon und Cormier gesteuert, ein weiterer Landsmann namens Auguste Pons trat in einem dreirädrigen Contal mit 6 PS an.
Voll beladen mit Verpflegung, Ersatzteilen, Werkzeugen und Hilfsmitteln für eventuelle Bergungen, standen die Teams am Morgen des 10. Juni 1907, einem Montag, zur Abfahrt ins Abenteuer bereit. Vor ihnen lagen rund 15.000 Kilometer und etliche, heute unvorstellbare Strapazen.

 

 

 

 

Einer der beiden 10 PS starken De Dion Boutons

 

 

 

Auftakt eines Abenteuers
Gleich der erste Abschnitt in Richtung der mongolischen Hochebene mit ihren schier unüberwindlichen Gebirgsterrassen wurde für die Raiders zur Nagelprobe. In der Folgezeit gab es meist keine erkennbaren Wege, so daß die Fahrer eigene Pfade suchen mussten. Um den Streckenverlauf mit verlassenen Brücken ohne Auffahrten, engen und nahezu unpassierbaren Schluchten sowie matschigen und rutschigen Bergauf- und -abfahrten zu bewältigen, wurden oft zahlreiche helfende Hände gebraucht.

 

 

 

 

Auf dem Weg von Peking nach Paris waren alle Teilnehmer  der RAID 1907auf viele helfende Händer angewiesen.

 

 

 

An den geplanten Zwischen- und Etappenzielen warteten auf die Automobil-Pioniere Träger mit Bambusstangen, Reiter auf Pferden und Bauern mit ihren Ochsenkarren, die dafür sorgten, daß die Langstreckenfahrer an Stellen, wo die Fahrzeuge an ihre Grenzen kamen, trotzdem nicht kapitulieren mussten. Besondere Schwierigkeiten bekam der dreirädrige Contal. Mit nur einem angetriebenen Rad, seinem geringen Eigengewicht und der verschlechterten Gewichtsverteilung infolge der Beladung waren seiner Traktion enge Grenzen gesetzt. Ein leerer Tank in der Wüste Gobi bedeutete für Pons und seinen Beifahrer Foucault das vorzeitige Ende. Dem Verdursten nahe wurden die umherirrenden Franzosen nach anderthalb Tagen von Nomaden gerettet.

 

 

 

Aus der RAID wird ein Rennen
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die gemeinsame Abenteuertour längst zu einem echten Rennen entwickelt. Fürst Scipione Borghese, der in Führung lag, hatte sich vorgenommen, auf dem Weg nach Irkutsk den Baikalsee mit seinem Itala zu umrunden, anstelle mit einer Fähre überzusetzen, was das RAID-Komitee wegen der unbekannten Wegstrecken vorher erlaubt hatte.
Am 28. Juni verließ er den Fährhafen Missowaya am Baikalsee auf dem Landweg – aber den gab es schon lange nicht mehr. Die ehemalige Fahrspur war überwuchert und durch umgefallene Bäume blockiert. Unbenutzte, marode Brücken stürzten nach der Überquerung mit dem Itala nicht selten hinter dem Automobil zusammen. Nachdem ein solcher Einsturz für ihn fast das Ende des Rennens bedeutet hätte, ergriff Borghese im Angesicht des nächsten Flusses die Gunst der Stunde:
Für die Überquerung des Mishika nutzte er eine Brücke der kürzlich eröffneten Transsibirischen Eisenbahn und holperte mit seinem 40-PS-Itala kurzerhand über die Bahngleise – eine Hälfte des Wagens zwischen den Schienen, die andere am Schwellenrand. Nachdem der Diplomat danach vom Generalgouverneur von Sibirien sogar die offizielle Genehmigung zum Befahren der Gleise der Transsibirischen Eisenbahn erhalten hatten, ging es “zügig” Richtung Irkutsk.

 

 

 

Zwei Tage nach dem Fürsten kam dort auch die Gruppe französischer Automobilisten mit ihren De Dion Boutons und dem Spyker an – ebenfalls per Eisenbahn, da sie am Baikalsee vergebens auf eine Fähre gewartet hatten. Kurz nach ihrer Ankunft warfen Godard technische Probleme mit seinem Spyker zurück:
Die Magnetzündung war defekt, das Getriebegehäuse der Hinterachse leck, und die sehr kurz übersetzte Hinterachse war für die kommenden Straßen denkbar ungeeignet. In Tscheremchovo kurz hinter Irkutsk kam das Aus. In dieser Situation entschloss sich Godard zu einem tollkühnen Plan:
Obwohl ihm bereits der niederländische Spyker-Mechaniker Bruno Stephan zur Hilfe entgegenreiste, fuhr er mit der Bahn und dem defekten Fahrzeug rund 1.350 Kilometer Richtung Westen bis nach Tomsk, weil dort die beste technische Akademie in Russland zu finden war. Im Anschluss an eine erfolgreiche Reparatur wollte er zur regelkonformen Fortsetzung der Fahrt wieder nach Tscheremchovo zurückkehren.

 

 

 

Die Triumphfahrt des Fürsten
Scipione Borghese war unterdessen nicht mehr aufzuhalten. Seinen großen Vorsprung verdankte er der überlegenen Kraft seines Wagens und der täglichen Wartung durch seinen fähigen Mechaniker Ettore Guizzardi. Am Mittwoch, dem 27. Juli 1907, erreichten Borghese und sein Team unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit Moskau. Der Vorsprung war mittlerweile so groß, daß er die verschiedenen Empfänge und Diners zu seinen Ehren in aller Ruhe wahrnehmen, dabei neue Kraft schöpfen und sogar auf die Wünsche seiner Freunde und Förderer eingehen konnte.
Mit einem Abstecher in die russische Hauptstadt St. Petersburg, weit abseits der geplanten Route, ehrte der Fürst das dortige Peking-Paris-Komitee.
Bei seiner Einfahrt in Paris, 62 Tage nach dem Start in Peking, herrschte das gleiche Wetter wie zu Beginn des Langstreckenrennens: Es war grau und regnerisch. Der festlichen Stimmung tat das keinen Abbruch. Zu den Klängen des Triumphmarschs aus Aida, gespielt von einer Blaskapelle vom Oberdeck eines vorausfahrenden offenen Omnibusses aus, zog der siegreiche Itala in Paris ein. Die begeisterten Schaulustigen standen dicht gedrängt in Zwölferreihen. Und die Straße vor der Redaktion des LE MATIN musste mühsam von Gardisten freigehalten werden, damit der Itala die Ehrentribüne überhaupt erreichen konnte.

 

 

 

 

Paris am 27. Juli 1907. Fürst Borghese wird von einer jubelnden Menschenmenge empfangen.

 

 

 

 

Der Itala von Fürst Borghese in Paris

 

 

 

Während dessen kämpften die anderen Teilnehmer in Rußland noch um jeden Kilometer. Als schlimmsten Abschnitt bezeichneten sie im Nachhinein die rund 400 Kilometer zwischen Kazan und Nischni Novgorod. Es regnete ununterbrochen, es gab keine Straßen mehr, und am ersten Tag dieses Abschnitts schafften sie wegen der widrigen Umstände gerade 38 Kilometer.
Westlich von Moskau waren die Straßen besser, und dem schnelleren Spyker kam die Aufgabe zu, die Benzinversorgung in den örtlichen Drogerien auszukundschaften und sicherzustellen. Godards mehrfach von den anderen Teilnehmern gerühmter Charakter verbot es ihm jedoch, die Überlegenheit seines Wagens auszunutzen und den Konkurrenten – so wie Borghese in der Wüste – einfach auf und davon zu fahren.

 

 

 

Ein abenteuerliches Ende
Beim französischen LE MATIN wurde das Tempo des niederländischen Spyker dennoch mit Sorge betrachtet. Denn das Ziel der RAID, Werbung für die französische Automobilindustrie zu machen, schien endgültig gefährdet, nachdem die Siegestrophäe bereits an die Italiener gegangen war. Daher ließ der geschäftsführende Direktor des LE MATIN Charles Godard bei der Einreise nach Frankreich kurzerhand wegen Unregelmäßigkeiten im Vorfeld des Rennens verhaften.
Doch Spyker-Chef Jakobus Spijker war nicht unvorbereitet und setzte für die letzten Etappen einen Werksfahrer hinter das Lenkrad. Am 30. August 1907, knapp drei Wochen nach Fürst Borghese, fuhren die beiden De Dion Boutons und der Spyker in Paris ein. Georges Cormier, Victor Collignon und den Teams wurde nach mehr als 15.000 Kilometern Strapaze ein ebenso begeisterter Empfang bereitet wie dem Sieger. Denn gewonnen hatten sie am Ende des ersten Langstreckenrennens der Automobilgeschichte alle.

 

 

 

 

 

 

 

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25. Oktober 2006

 

 

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