Was ist los im Modellbahnland?

 

von  Klaus Honold

 

Man soll einen Aufsatz nie mit “ich” beginnen. Hier ist die Ausnahme. Ich arbeite hauptberuflich bei einer großen deutschen Tageszeitung, deren Drucker streiken. Nicht jeden Tag. Das wäre ja einfach. Sondern ab und an, unvorangekündigt. Die Nachtschicht tritt einfach nicht an. Weil die Redaktion das vorher nicht weiß, muß sie doppelt produzieren: die normale Zeitung für den nächsten Tag sowie für den Fall des Falles, so gut es geht, eine Streikausgabe. Das ist lästig. Doch vor Jahren, als viele Redakteure von Kündigung bedroht waren, hat auch die Redaktion gestreikt. Und die Drucker haben sich solidarisch gezeigt. Nun, wo es um die Arbeitsstellen der Drucker geht, haben die Redakteure Verständnis.
Streik ist das letzte Mittel der Ohnmächtigen. Zumindest der sich ohnmächtig Fühlenden. Ob man seine Familie ernähren kann – oder ob man die richtige Lokomotive erwirbt: Da geht es um mehr als nur unterschiedliches Gewicht.

 

Und dennoch: Manchmal mag ein Modellbahner sich so ohnmächtig fühlen, daß er wünschte, er hätte den Streik als Mittel zur Gegenwehr. Streik aber, das sei gleich gesagt, ist – wozu auch immer eingesetzt – eine Waffe nur dann, wenn sehr viele sie schwingen.

 

Hätte der Modellbahner Grund dazu? Das schon. Und nur deshalb erscheint hier dieser Kommentar – der im übrigen auch nur hier erscheinen kann und nicht im Eisenbahn-Kurier, im Eisenbahn-Magazin oder in der Miba. Dort wird man sich hüten, mit den Anzeigenkunden kritisch ins Gericht zu gehen. Auch um dies mal zu erwähnen: Redakteure an Tageszeitungen genießen das Privileg, unabhängig von den Interessen etwaiger Inserenten urteilen zu dürfen. In der Regel jedenfalls. Bei Illustrierten ist das anders – egal ob “Brigitte” oder “Eisenbahn-Journal”. Dort beeinflußt die geldbringende Werbung auch die redaktionelle Meinungsäußerung. Im Gegensatz dazu bewahrt sich auch REFLEKTION.INFO seine unabhängige redaktionelle Stellung.

 

Worum geht es? Ein Beispiel. Brawa. Gäbe es den Preis für die schönsten Großserien-Dampflokmodelle, die Waiblinger hätten ihn verdient. Wir geben der S 2/6 Sporen. Dumm gelaufen: Nach zehn Minuten platzt auf beiden Seiten das Gestänge auseinander, Treibstangen, Kurbelstangen und Kuppelstangen lösen sich voneinander und enden im Nichts. Einzelfall? Nein, beobachtet bei mehreren Maschinen. Derselbe Effekt bei der G 4/5, dieser schönen bayrischen Güterzuglok. Zudem erlöscht nach fünf Runden die Beleuchtung. Man muß die Lok einschicken, erhält sie nach drei Wochen zurück: die linke Laterne leuchtet hell, die rechte fast gar nicht.

 

Ja und? Das ist es eben. Inzwischen zucken wir die Achseln und sagen “ja und?” Jeder ärgert sich für sich allein.

 

Ein anderes Beispiel. Die neue Trix-E 10. Oh, bitte nicht schon wieder das Trix-Thema, höre ich manche aufjaulen, die bereits einige der hier notierten Trix-Modellrezensionen gelesen haben. Ja, ginge es um Geschenke! Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.

 

Das Jahr 2007 ist fast schon wieder zur Hälfte vorüber. Im Januar wurde das Trix-Exklusivmodell des VT 08 ausgeliefert. Man stellt es immer und immer wieder auf die Schiene: der Zug fährt ordentlich, hat sogar ein bißchen Auslauf, bewegt sich ohne störendes Geräusch. Sollte man da nicht erwarten, daß die folgenden Trix-Neuheiten ebenso ausfallen? Sie taten es mitnichten, wie an dieser Stelle schon beschrieben wurde. Da ist sie also die Bügelfalten-E 10, ein Modell für das die H0-Bahner jeden Hersteller küssen würden. Es ist geradezu wundervoll geraten, nur wenn man es auf die Schienen stellt, sollte man besser Katholik sein. Es könnte sein, daß Beten hilft, die Lok ohne Stottern zu bewegen.

 

Da gibt es dann wieder Gleichstromfreunde, die unken: Ja, wer auch Trix kauft! Meine Herren, in einer so komfortablen Lage befinden wir uns nicht mehr. Wir dürfen wahrlich um jeden Hersteller froh sein, der sich noch immer Mühe gibt, unsere Lüste zu befriedigen. Oder?

 

Nun, seltsamerweise gab es in unseren Kreisen immer wieder auch eine seltsame Häme, wenn es einen “Großen erwischt”. Was hörte man nicht alles zu Roco, zu Märklin, zu LGB? Wie kann ein Kunde sich freuen, wenn der Hersteller ausblutet? Das mal ganz generell angemerkt.

 

Daß Krisen die Arroganz eines Platzhirschen mildern, ist jedenfalls nicht ausgemacht. Wir erleben gerade das Wunder Rocos, wo nach der Wende eine neu-alte Geschäftsführung sich auf ursprüngliche Tugenden besinnt – und dem Zweileitermarkt Modelle in einer Qualität beschert, auf die dieser längst nicht mehr zu hoffen gewagt hätte – siehe die BR 64. Man traut sich es ja fast nicht zu glauben, so gut ist der “Bubikopf” gelungen. Eine Eintagsfliege? Oder geht es so weiter?

 

Bei Märklin wiederum ging neben Personalwechseln nur eins weiter: das Marketing. In dieser Hinsicht ist es doch gut, daß die Nürnberger Messe der Öffentlichkeit verschlossen bleibt. Manchem Modellbahnfreund wäre es sonst wohl übel geworden, hätte er die Märklin-Show dort mit dem verglichen, was seine Realität als Kunde ist.

 

Der Kunde. Wir Kunden. Uns gibt es ja tatsächlich. Wir sind die mit dem Geld im Portemonnaie. Nicht viel Geld. Aber wir sind es, die bezahlen. Wir bezahlen die Lokomotiven, und wir bezahlen die Vorstandsgehälter all jener schlauen Bosse, die besser zu wissen glauben, was wir wollen.

 

Wollen wir Gleichstrombahner denn einen Schienenbus, der innen bis über die Fensterkante hinaus verunstaltet ist mit Soundtechnik, die uns – selbst wenn man den Sound hören wollte – gar nichts nützt, weil der VT 98 mangels tauglicher Stromabnahme ohnehin nicht so toll fährt? Dafür verlangt Märklin/Trix rund 350 Euro – das waren einmal 700 Mark. Und erwartet, daß die Redakteure in den Modellbahnmagazinen etwas Liebes schreiben.

 

Das sind also die Usancen des Marktführers – beworben als neuer Weg. Keine der Trix-Neuheiten der vergangenen zwölf Monate bewies ein einheitliches Qualitätsniveau. Noch einmal: Gleichstrombahner können es sich nicht erlauben, diesem Hersteller die kalte Schulter zu zeigen. Trix tauchte lang in exotischen Unterwasserhöhlen. Und förderte dabei seltsame, aber schöne Funde zutage. Dabei kamen Modelle heraus wie der Glaskasten, der Kittel-Dampftriebwagen, der ET 87, die E 75, die legendäre Diesellok V 140, die Lokalbahnlok 98.4, und so fort. Kein anderer Hersteller traute sich ähnliches, und die tapferen Kollegen in Nürnberg, die bis jetzt dem Diktat des Göppinger Konzerns trotzten, verdienen uneingeschränkt unsere Unterstützung.

 

Sie verdienten sie jedenfalls, wenn das Bild noch stimmte. Märklin verschweigt wohlweislich, welche Modelle die Firma in Asien produzieren läßt, und welche Aufgabe für wen in Deutschland übrig bleiben. Daß nun die Hälfte des Trix-Personals in Nürnberg entlassen wird, sagt genug aus über die Wertschätzung der Gleichstromsparte innerhalb des Märklinkonzerns. Hier also liegt die Erklärung für die zunächst unerklärlich erscheinenden Qualitätsunterschiede bei Trix.

 

Während die Re 4/4 I sich gerade noch halbwegs manierlich bewegen ließ, ruckelt die E 10 auf dem Gleis mehr als sie fährt. Und dann müssen wir noch hinnehmen, daß das Modell nicht über eine Kulissenmechanik der Kupplung verfügt, die Lackierung inhomogen ausfällt, die Zurüstungsaufgaben ziemlich unbeholfen eingefädelt wurden. Die Lok sieht trotzdem besser aus als das Konkurrenzmodell von Roco – doch was fängt man damit an? Nachdem man 250 Euro bezahlt hat, oder anders gerechnet einen halben Tausender in D-Mark?

 

Hier stimmt doch wirklich etwas nicht. Wir würden die Schwüre, daß mit der Neuausrichtung der Marke Trix ein alt-neuer Hersteller für Zweileiter-Gleichstrom wieder aufersteht, gern entsprechend auf die Wirklichkeit hin überprüfen – in der Hoffnung, daß Versprochenes eingelöst wird.

 

Allein Märklin gibt nicht die geringsten Anzeichen dafür. Es scheint, als müßten die Kunden den Hersteller daran erinnern, daß aus seinem Hause einst das modernste, bestkonstruierte H0-Lokmodell überhaupt kam. Es wurde an dieser Stelle schon erwähnt – genau vor zehn Jahren, unmittelbar vor Übernahme durch Märklin, brachte Trix die V 140 heraus, die einen in H0 bis heute beispiellosen Fahrkomfort zeigte. Als Resultat lediglich mechanischer Perfektion, der Abstimmung von Motor, Schwungmasse und Getriebe. Weder Fleischmann noch Roco und schon gar nicht einer der nachgeordneten Hersteller hat sich danach getraut, diesen Standard noch einmal anzustreben. Märklin freilich – und dies ist am bedauerlichsten – versuchte, die Erinnerung an diesen Höhepunkt der Unternehmensgeschichte geradezu auszulöschen. Warum? Um an dessen Stelle die Märklin-Digital-Produktionskette zu setzen und außerdem den unglücklichen Märklin-Sinus-Motor.

 

Ein glänzend rosa lackierter Buick-Convertible von 1959, woran erinnert Sie das? Richtig, an Kuba. Das Land, in dem Technik uralt-lavendel ewig lebt, und das Land, in dem nicht sein kann, was nicht sein darf. Göppingen ist ein Vorort von Havanna. Denn auch in Märklin-City kann nicht sein, was nicht sein darf. Qualität auf mechanischer Basis? Das ist Teufelswerk. Und so enttäuscht man die Modellbahner weiter mit Modellen, die vollgestopft sind mit Elektronik, auf dem Gleis jedoch eine Figur machen, wie man es in den letzten zwanzig Jahren eigentlich von keinem Hersteller mehr kannte.

 

Wir wollen Märklin nicht ärgern. Aber mal angenommen, es ist Samstag, und wir besuchen in einem unserer Bundesländer, in Rheinland-Pfalz, die Hauptstadt Mainz und dort den führenden Modellbahnhändler, so steht im Regal auch die Vorserien-E 10 von Lima, neueste Lieferung. Das Bachmannmodell wurde genauso in China produziert wie jenes von Trix, die Karosserie ist aus Kunststoff und nicht aus Zinkdruckguß, doch übers Gleis flutscht die Lima-Lok wie ein junger Schwan. Auslauf fast ein halber Meter. Und der Preis nur die Hälfte. Womit also will Trix die Kunden überzeugen?

 

Das kann uns doch egal sein? Nee, kann es nicht. Denn im Lauf dieses Jahres beispielsweise haben sich vier H0-Hersteller vorgenommen, den klassischen TEE-Triebzug RAm herauszubringen. Würde Trix auf seinem - von oben vorgegebenem ? -Niveau bleiben, wie sollte die Firma dann noch Kunden überzeugen? Neben dem Marketing, wie es in Nürnberg noch zu sehen war, kann nur die Rückbesinnung auf klassische Herstellertugenden hier helfen. Marketing kann – siehe Brawa – viele Hoffnungen wecken. Aber oft nur einmal.  Wer Modelle auf die Schienen stellt, die partout keinen Dauerbetrieb (v)ertragen, der wird den nächsten Kauf überlegen.

 

Ansonsten freilich bleibt den H0-Modellbahnern, die an der konstruktiven Entwicklung ihres Hobbys interessiert sind, tatsächlich nur das “Nein” an der Kasse im Fachgeschäft. Man muß es ja nicht gleich, wie unsere Drucker es tun, “Streik” nennen.

 

 

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kh 19. Mai 2007

 

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