Eine Augenweide – mit kleinen Makeln:
BRAWA  Bay. G 4/5 H

 

von  Klaus Honold

 

 

 

 

 

Vor Weihnachten, das hat nicht geklappt. Doch zwei Tage vor Ablauf des Jahres schaffte es die Brawa-Hauptneuheit in H0, die bayrische Güterzugdampflok G 4/5 H, doch noch zu den Modellbahnhändlern. Und als das Jahr dann wirklich zu Ende war, da war das Modell auch schon wieder ausverkauft – so jedenfalls hörte man es in vielen Geschäften: “Ganz ohne Werbung”, sagte ein Verkäufer, “die Lok ging wirklich weg wie warme Semmeln.”

 

 

 

Wie schon bei der S 2/6 scheint auch bei der G 4/5 H die Reichsbahnausführung gefragter zu sein – mit dem Vorzug freilich, daß es sie tatsächlich gegeben hat, während die G 2/6 als Reichsbahn-Baureihe 15 001 bekanntlich reine Fiktion war. Was der Schönheit eines mattschwarzen Kessels, der über klassisch-rotem Fahrwerk schwebt, keinen Abbruch tat.

 

 

 

 

 

So ist es auch bei der 2006-er Neuheit Brawas. Wobei das mit dem Schweben fast wörtlich zu nehmen ist, denn Bayerns kräftigste Vierkuppler-Güterzuglok zeichnete sich durch außergewöhnlich hohe Kessellage und folglich durch eine luftige Architektur aus. Güterzugloks sind selten Diven – doch die G 4/5 H ist eine Diva: attraktiver Körper auf zierlichem Fuß.

 

 

 

Diese aufregende Silhouette hat Brawa perfekt nachgebildet. Da “perfekt” nicht zu steigern ist, sei einfach jedem geraten, den Eindruck des Modells beim Händler auf sich wirken zu lassen. Das würde reichen; und so bleiben Zweifel, ob die Brawa-Konstrukteure gut beraten waren, doch noch perfekter als perfekt sein zu wollen – etwa indem sie ein bewegliches Innentriebwerk in Szene setzten, dessen Bewegung jedoch aus keinem Blickwinkel zu sehen ist. Brawas Kick soll offenbar darin liegen, daß der G 4/5 H-Besitzer weiß, es bewegt sich. Gerechtfertigter Aufwand?

 

 

 

 

 

 

Besser steht es um den Eindruck der Führerstandsleuchte –  ein schöner Gag. Vorbildlicherweise unterscheiden sich Länderbahn- und Reichsbahnlok in einigen Punkten; die 56 915 kommt ohne Signalleuchte auf der Rauchkammer daher, hat dafür aber Schutzbleche über den Federn der Vorlaufachse sowie Trittbretter unter der Kreuzkopfführung. Daß die Tender der Reichsbahnloks bereits Kohlenkastenaufsätze aus Holz besaßen, übersah Brawa dagegen. Aber hier muss man ohnehin zurüsten: Der Tender sieht nur gut aus, wenn man ihn mit echter gemahlener Kohle auffüllt.

 

 

 

 

 

 

Apropos Zurüsten: So harmlos das Tütchen aussieht, das Brawa der Lok beilegt, so diffizil und langwierig fallen die Applikationsarbeiten aus –  eine Zumutung. Dazu braucht man viel Geduld, ruhige Hände und gutes Werkzeug. Die Kolbenschutzrohre zum Beispiel müssen befeilt werden, bevor sie in die Bohrung passen – mühselig, da die Stangen aus Metall gedreht sind. Um die Bremsschläuche anbringen zu können, muß zumindest vorne die Pufferbohle aufgebohrt werden. Um das Handrad der Steuerung im Führerhaus zu platzieren, ist so viel Schweiß nötig, daß man es lieber lassen sollte. Quälerei auch das Einpassen der Fronttritte von hinten in die Pufferbohle. Auch hier müssen die Steckteile zurechtgefeilt werden, was wegen ihrer Flexibilität nur schwer gelingt. Da die Griffstangen von Brawa deutlich sichtbar seitlich in die Pufferbohle montiert wurden – hier sollte man rot nachlackieren –, ist es unverständlich, daß sie nicht mit den Tritten verbunden wurden; eine Lösung, die sich bei allen anderen Herstellern bewährt hat.

 

 

 

 

 

 

Rot nachlackiert werden sollten auch alle lediglich im Material durchgefärbten Kunststoffteile, etwa die Bremszylinder unter dem Führerhaus oder die Achslagerdeckel des Tenders. Mit den Farbunterschieden der Steuerung dagegen kann man gut leben. Bei allen Arbeiten ist äußerste Vorsicht angebracht. Dies um so mehr, als das beigelegte Faltblatt wenig hilfreich ist. Es taugt nur zur Ersatzteilnachbestellung, und man darf fürchten, daß die schneller notwendig ist, als einem lieb ist. In den meisten Punkten liest sich der Text der Betriebsanleitung ohnehin wie eine Drohung: “Laß‘ die Finger davon!”

 

 

 

Das sollte man beherzigen. Selbst wenn es nicht explizit dasteht. Da ist zum Beispiel die vordere Kupplungsaufnahme, die optisch ziemlich stört und betrieblich völlig überflüßig ist, weil die G 4/5 H wohl kaum Züge rückwärtsfahrend zog. Wie gern würde man sie entfernen! Doch was bei anderen Herstellern “ein Klacks mit der Wichsbürste” ist, um mal Mutter Kempowski zu zitieren, das  verlangt hier so viel Aufwand wie eine Operation am offenen Herzen.

 

 

 

Folglich wird sich der Modellbahner auch mit dem etwas großen Lok-Tender-Abstand abfinden. Der Eisenbahn-Kurier jubelte zwar in seiner Ausgabe 01/07, Brawa habe den Vorschlag der Redaktion zu einer verstellbaren Lok-Tender-Kupplung aufgegriffen, doch nicht ohne Grund blieb die Redaktion jede Angabe schuldig, wo und wie  denn diese Verstellung zu bewerkstelligen sei. In der Brawa-Betriebsanleitung findet sich ebenfalls kein Hinweis darauf, und wer vermutet, die ovale Fassung einer Schraube am Tenderboden sei die Antwort darauf, sieht sich rasch getäuscht. Kurzum – hier gilt abermals die Devise: Finger weg, keine Experimente!

 

 

 

 

 

 

Und wenn dann nach viel Arbeit die Lok fertig ist, alle Lager geölt und die Schienen geputzt sind, wenn die G 4/5 H ihre ersten Zentimeter läuft, dann ist man doch wieder mit den brawatypischen Ärgernissen versöhnt. Denn so – langsam tastend und mit einem kätzleingleichen Motorschnurren – zum Ausfahrsignal vorzuziehen, das tut schon gut.

 

 

 

Auf dem Gleis und in der Vitrine: Brawas Neuheit ist eine Augenweide – für die der Gleichstrombahner zwischen 399 und 450 Euro (je nach Händler) bezahlen muß.

 

 

 

Klaus Honold

 

 

 

alle Fotos:  © Brawa

 

Download nur zum nicht-kommerziellen Gebrauch

 

 

 

Werbung

 

www.conrad.de

 

 

 

 

 

 

2. Januar 2007

 

 

 

 

bitte einen Moment Geduld bis sich Ihr Emailkonto öffnet

 

 

 

 

 

Werbung

Ferienwohnungen & Ferienhäuser von privat weltweit