20. September 2012

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

53 Jahre MEG V70.01

 

von Thomas Beierle

 

Vor dreiundfünfzig Jahren, am 7. August 1959 wurde die von Gmeinder in Mosbach unter der  Fabriknummer 5117 gebaute Diesellokomotive V70.01 auf der von den Mittelbadischen Eisenbahnen AG (MEG) betriebenen Bregtalbahn Donaueschingen-Furtwangen in Betrieb genommen. Dies war für sich allein betrachtet keine Besonderheit, denn der Strukturwandel weg von der Dampf- und hin zur Diesel- oder zur elektrischen Traktion war damals in vollem Gang. Bemerkenswert ist dagegen, daß die Maschine bis heute von ihrem Erstbesitzer (bzw. von der SWEG als Rechtsnachfolgerin der MEG) noch planmäßig im Regelbetrieb eingesetzt wird. Daneben stellt die nur in diesem einen Exemplar gefertigte Konstruktion sowohl einen Meilenstein im Lieferprogramm ihres Herstellers als auch in der regionalen Verkehrsgeschichte dar.

 

 

Die MEG begann nach der Übernahme der in Baden gelegenen ehemaligen Strecken der Süddeutschen Eisenbahngesellschaft (SEG) im Jahr 1953 mit der Verbesserung der Betriebsabläufe auf diesen Bahnlinien, um so den dort defizitären Betrieb wirtschaftlicher führen zu können. Dazu gehörte neben weiteren Maßnahmen auch die Verdieselung des bisher noch mit Dampflokomotiven betrieben Güterverkehrs. Die Umsetzung erfolgte dabei schrittweise: Zuerst wurde im Jahr 1956 bei der Kaiserstuhlbahn eine dreiachsige Diesellok des Krauss-Maffei-Typs ML 440C mit Stangenantrieb und aussenliegender Blindwelle in Betrieb genommen und damit auf dieser Strecke der Güterverkehr verdieselt. Im Vorfeld der für die Bregtalbahn geplanten Fahrzeugerneuerung wurde dort zunächst im Spätjahr 1957 eine Lok der DB-Baureihe V60 getestet, diese Probefahrt lieferte Erkenntnisse über die erforderliche Motorleistung der neuen Lokomotive. Wegen der kurvenreichen Trassierung der Einsatzstrecke wurde zur Schonung des Oberbaus und des Fahrwerks der Lok trotz damit verbundener Mehrkosten in Höhe von ca. 75000 DM die Ausführung als Drehgestell-Fahrzeug favorisiert.

 

 

Die Angebote von 5 Firmen bildeten die Grundlage für die anschliessende Auftragsvergabe, dabei kamen Krauss-Maffei und Gmeinder in die engere Wahl. Das Angebot von Gmeinder für eine vierachsige Drehgestell-Lok mit einer Motorleistung von 650 PS (478 kW) war mit 470000 DM etwa 80000 DM günstiger als das des Münchner Konkurrenten und daher erhielt die nordbadische Lokomotivfabrik den Zuschlag. Die Finanzierung des Fahrzeugs erfolgte durch Mittel aus dem Verkehrsfinanzgesetz, die der  MEG  als Darlehen gewährt wurden.

 

 

Die Entscheidung für die Beschaffung einer Drehgestell-Lok war zu diesem Zeitpunkt noch eine Besonderheit: zwar war die Bauart technisch ausgereift und die Deutsche Bundesbahn hatte bereits zahlreiche Drehgestell-Großdieselloks der Baureihen V80 und V200 im Einsatz, aber bei Industriebahnen und den Nichtbundeseigenen Eisenbahnen (NE) wurde auch bei Neufahrzeugen immer noch das konstruktiv erheblich einfachere Konzept von fest oder seitenverschiebbar in einem Hauptrahmen gelagerten Achsen favorisiert, die wie bei  Dampfloks über Kuppelstangen verbunden waren.

 

 

Dem günstigeren Preis standen technische Nachteile wie schlechtere Laufruhe und Kurvengängigkeit sowie eine höhere Beanspruchung des Fahrwerks und des Oberbaus entgegen. Sehr wahrscheinlich hätte deshalb die Lok in dieser Ausführung ihr fünfzigstes Betriebsjahr zumindest nicht im Regelbetrieb ihres Erstbesitzers erreicht.

 

 

Die V70 war nicht nur die erste in Baden-Württemberg gebaute, sondern auch von einer NE-Bahn im Südweststaat beschaffte Drehgestell-Diesellok, sogar bundesweit war die MEG mit ihrer Bestellung unter den Vorreitern. Für ihren Hersteller bedeutete der Auftrag,   technisches Neuland zu betreten.

 

 

Das Unternehmen griff deshalb auf die Unterstützung des Heidelberger Ingenieurbüros Kruckenberg zurück, dessen Gründer Franz Kruckenberg bereits Ende der zwanziger Jahre den propellergetriebenen “Schienenzeppelin” konstruiert hatte. Ein weiteres, auch bei nicht-elektrischen Drehgestellantrieben erforderliches Maschinenelement, die Gelenkwelle, war bei von Gmeinder gebauten Fahrzeugen erstmalig im Jahr 1957 bei einer anderen MEG-Lok, der meterspurigen V22.01, eingesetzt worden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Baumuster der von der MEG bestellten Drehgestell-Lok wurde unter der Bezeichnung D 65 BB in das Typenprogramm von Gmeinder aufgenommen und mit einer Motorleistung von 700 bis 1200 PS angeboten. Trotzdem blieb die V70.01 ein Einzelstück, es wurde keine weitere Maschine in dieser, nachfolgend beschriebenen Ausführung gebaut.

 

Der Rahmen der mit einer Länge von 11340 mm über Puffer relativ kurzen und deshalb gedrungen wirkenden Lok ist eine Schweisskonstruktion aus Blechen, er stützt sich über je zwei Schraubenfederpaare auf den beiden ebenfalls als Schweisskonstruktion ausgeführten Drehgestellen mit einem Achstand von 2200 mm ab, anstelle von Drehzapfen sind die Drehgestelle über ein Lenkhebelsystem mit dem Rahmen verbunden. Der ideele Drehzapfen-Abstand beträgt 5400 mm. Die Primärfederung der Achsen in den Drehgestellen erfolgt über Metall-Gummi-Federelemente (“Megi-Federn”). Der Raddurchmesser beträgt bei neuen Radreifen 950 mm. Der Rahmen trägt das Mittelführerhaus und die beiden gleichlangen Vorbauten. In einem der Vorbauten befindet sich der Motor mit einer Leistung von 700 PS (514 kW), im anderen die Druckluft- und die Kühleranlage sowie der Kraftstofftank mit einem Volumen von 1100 l und die Starterbatterie. Das Dienstgewicht der Maschine beträgt 56 t, entsprechend einem Achsdruck von 14 t. Die Sandvorräte umfassen maximal 500 kg. Der kleinste befahrbare Radius beträgt 100 m.

 

 

Der Kraftstoffverbrauch für die 65 km lange Strecke von Furtwangen nach Donaueschingen und zurück wurde mit 150 l angegeben, der dabei überwundene Höhenunterschied betrugt etwa 175 m.

 

 

 

Das Design der Maschine weist auf ihre Entstehungszeit in der “Nierentisch-Epoche” hin. Es zeigt, anders als bei heute gebauten Loks aufgrund der inzwischen rein funktionsorientierten Gestaltung und der Bestrebungen zur Standardisierung üblich, für den Kenner deutlich die “Handschrift” ihres Herstellers. Entsprechend dem sich wandelnden Zeitgeschmack hat sich die Farbgebung der Lokomotive in den vergangenen fünfzig Jahren mehrfach verändert: ursprünglich waren die Aufbauten in einem eleganten Purpurrot mit zwei beigen Zierstreifen lackiert, während der Rahmen in schwarzer Farbe abgesetzt war. Bei der 1973 in Menzingen durchgeführten Hauptuntersuchung wurde die rote Lackierung von einem leuchtenden Orange und einem hellblauen Zierstreifen abgelöst. Anlässlich der im Jahr 1988 im Herstellerwerk durchgeführten Hauptuntersuchung tauschten schließlich bei der dort erfolgten erneuten Neulackierung die Aufbauten und der Zierstreifen ihre Farben, der Rahmen wurde nun anthrazitfarbig. Dabei verlor die Lok auch ihre Nummernschilder, die neben der Betriebsnummer noch das Kürzel “MEG” trugen. Seit diesem Zeitpunkt trug sie auch die verkürzte Bezeichnung “V 70” Anlässlich des fünfzigsten Betriebsjahres wurde die Maschine im Juli 2009 auf Anregung des Achertäler Eisenbahnvereins (AEV) und nach Freigabe durch die SWEG-Verwaltung von der Ottenhöfener SWEG-Werkstatt mit Unterstützung der aktiven Mitglieder des AEV äußerlich wieder weitgehend in ihren Ablieferungszustand zurückversetzt. Dazu gehörte neben der Neulackierung in Purpurrot mit beigen Zierstreifen und schwarzem Rahmen auch die Nachfertigung der Lok-Nummernschilder sowie der “Gmeinder”-Schriftzüge und der teilweise Wiedereinbau des ursprünglichen Lampentyps, wodurch überwiegend bei der 1988 durchgeführten Hauptuntersuchung entstandene Veränderungen wieder rückgängig gemacht wurden.

 

 

Nicht nur das Äußere der Lok war in den letzten fünfzig Jahren Wandlungen unterworfen,  wesentliche Veränderungen fanden “unter der Haube” statt: Im Rahmen der im September 1988 abgeschlossenen Hauptuntersuchung wurde eine umfangreiche Modernisierung durchgeführt: Dabei wurde der verschlissene MAN-Motor durch ein Antriebsaggregat von MWM mit gleicher Leistung ersetzt und das Getriebe an dessen abweichende Drehzahl angepasst. Außerdem wurde der Führerstand neu gestaltet und mit neuen, dem Stand der Technik entsprechenden Bedienelementen ausgestattet sowie die Bremsanlage erneuert und auf elektropneumatische Betätigung umgerüstet.

 

 

 

© reflektion.info - Text  Thomas Beierle;  Fotos  Werner Stooss

 

20. September 2012

 

 

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