10. September 2010

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Das Himbächel-Viadukt der Odenwaldbahn: Erfindungsreichtum von Ingenieuren

 

Das 250 m lange Himbächel-Viadukt der Odenwaldbahn bei Beerfelden-Hetzbach ist in technischer und gestalterischer Hinsicht eine mustergültige Leistung des Eisenbahnbrückenbaus.

 

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Im 19. Jahrhundert, zum Zeitpunkt seiner Entstehung, war die aus Sandsteinquadern gebaute Bogenbrücke über das Tal des Himbächel das höchste eingeschossige Viadukt Deutschlands. Ihre Bogenspannweite betrug 20 Meter und gehörte mit Abstand zu den am weitesten gespannten Eisenbahn-Viadukten der damaligen Zeit.
Seit der Einweihung im Jahr 1881 ist das Bauwerk nahezu unverändert geblieben. Bis heute trägt es problemlos die gestiegenen Verkehrslasten des modernen Schienenverkehrs. Der Bau des Himbächel-Viadukts steht exemplarisch für die Erschließung unwegsamer Regionen am Beginn des Industrie-Zeitalters und den Erfindungsreichtum von Ingenieuren. Ihnen ist es zu verdanken, dass technisch und gestalterisch anspruchsvolle Bauwerke entstanden sind.

 

Zum Bau des Himbächel-Viaduktes
Die Dimensionen des Himbächel-Viadukts übertreffen sämtliche 156 andere Brückenbauten der Odenwaldbahn. Den Auftrag zum Brückenbau erhielt im 19. Jahrhundert die Firma Karl Weißhuhn aus dem schlesischen Troppau. In den knapp 20 Monaten Bauzeit, von Mai 1880 bis November 1881, wurden 16.400 Kubikmeter Steinmaterial verbaut. Ein Viertel davon waren sorgfältig behauene Quader für die äußere Verkleidung. Die Detailkosten beliefen sich auf 20,90 Mark pro Kubikmeter verbautes Material und 35,07 Mark pro Quadratmeter Ansichtsfläche. Insgesamt verschlang der Brückenbau 343.615 Goldmark - mit heutiger Kaufkraft verglichen, entspräche dies etwa dem Zehnfachen, also mehr als drei Millionen Euro.

 

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Die Errichtung einer Steinbrücke galt seinerzeit als billigste Lösung, da das Material in unmittelbarer Nähe gebrochen werden konnte. Eine Umfahrung des Tals auf Dämmen hätte die Kosten erheblich gesteigert. Zudem eignete sich der felsige Untergrund gut für die dadurch nur in einer geringen Tiefe von lediglich vier Metern zu gießenden Betonfundamente. Einzige Ausnahme: an einer Stelle machte weicher Lehmboden eine komplizierte Gründung in elf Metern Tiefe notwendig.
Ganze 40 Hektar Wald mussten zum Zimmern der Lehrgerüste gerodet werden, die als Folge der jeweils 20 Meter überspannenden Gewölbe außergewöhnlich stark dimensioniert waren. Die Arbeit in 43 Metern Höhe forderte kurz nach dem Versetzen des Schlusssteins ein Todesopfer: In einer der letzten Wochen stürzte ein Maurer aus Tirol von der oberen Gerüststange in die Tiefe.

 

Mit einer Gesamtlänge von 250 Metern und der Maximalhöhe von 43 Metern (gemessen von der Talsohle bis zur Mauerkrone) imponiert das Himbächel-Viadukt durch unerwartete Dimensionen und das zum Grün der Landschaft kontrastierende Rot seines Sandsteins. Neun beidseitig den flankierenden Hängen entwachsende Pfeiler schultern zehn (jeweils vier Meter tiefe) Tonnengewölbe mit halbkreisförmigen Bögen, von denen jeder 20 Meter überspannt. Um die Dimensionen zu verdeutlichen: Vier fünfgeschossige Mietshäuser der Trivialarchitektur um 1880 zu zweien neben, bzw. übereinander gestellt, fänden unter jedem Bogen Platz. Dementsprechend erreicht die identische Höhe der Scheitel 40 Meter. Hier ist die Mauerstärke im Vergleich zum Ansatz an den Pfeilern um die Hälfte auf einen Meter reduziert. Beidseitig der verstärkten Pfeiler 3 und 7, die auch als Gruppenpfeiler bezeichnet werden, rhythmisieren vorgestellte Mauerblenden die Abfolge der Brückenarkade, die westwärts gegen den Ort Mümling und Bundesstraße als Schauseite ausgebildet ist. Nur hier entfaltet das Bauwerk ästhetisch seine volle Wirkung. Im Osten mindert der langsame Anstieg des Geländes den Eindruck absoluter Höhe.

 

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Die im Querschnitt konischen Pfeiler ergeben sich aus bossierten Quadern (eigentlich Buckelquadern mit Randschlag). Dieses bewusste Gestaltungselement des Vergröberns kennt man auch von den Türmen staufischer Burgen. Darüber schaffen zu allen Seiten herausragende Kämpferplatten eine deutlich sichtbare Zäsur zwischen den tragenden und lastenden Teilen des Bauwerks. Das betont die Harmonie sich wandelnder Vertikalproportionen von 1:1 (Rand) zu 2:1 (Mitte). Der von weitem fugenlos scheinende Oberbau mit seinen Mauerzwickeln wirkt leicht und nicht sehr massig. An der Bogenkante und entlang der Trassenbrüstung ist er durch trapezoid geschnittene Randsteine und ein Konsolgesims klar konturiert.
Die Inschriftplatte mit dem Baudatum 1881 wurde eher unauffällig zentriert angebracht. Eingesetzt wurde der Schlussstein am 18. September 1881. Kurze Zeit später wurde der Bahnverkehr für die Strecke freigegeben.

 

 

 

© reflektion.info - Text u. Fotos:  Bundesingenieurkammer
Download nur zum nicht-kommerziellen Gebrauch

 

PS   10. September 2010