15. Februar 2013

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über die Alpen im Wandel von Zeit und Technik

 

Am Beispiel Gütertransport über den San Bernardino lassen moderne Lastwagen heute die Zeiten von Säumern und Pferdefuhrwerken vergessen - bei stetig niedrigerem Krafstoffverbrauch und stetig weniger Belastung für den Fahrer

 

Der rasch wachsende EU-Binnenmarkt und die umfassenden wirtschaftlichen Veränderungen in Osteuropa haben den Güterverkehr über die Alpen in den letzten 40 Jahren um mehr als das Dreifache ansteigen lassen. Deshalb sind bei der Betrachtung des Verkehrsgeschehens im gesamten Alpen­bogen, von Südfrankreich bis vor die Tore Wiens und von Norden nach Süden, klare Zuordnungen zu berücksichtigen. Es ist zu unterscheiden zwischen dem sogenannten Eigenverkehr, der durch die Bewohner der Alpenregionen selbst entsteht, dem touristischen Verkehr durch die Feriengäste und Ausflügler und dem eigentlichen Transitverkehr, der alle alpenquerenden und nationale Grenzen überschreitende Fahrten zum Transport von Gütern umfaßt.

 

lupe_anima  Mercedes-Benz Transalp Trucking 2010 - Oldtimer-Konvoi mit Mercedes-Benz LP 333

 

Nach Untersuchungen der Universität Erlangen besteht die Masse des Verkehrs im Alpenraum aus dem Eigenverkehr (70 Mrd. km/Jahr bei Pkw und 4-6 Mrd. km/Jahr bei Lkw). Diese kaum vorstellbare Zahl an Kilometern entsteht aus täglichen Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsorten der Alpenbewohner, aus Fahrten zu zentralen Orten und aus dem Wirtschaftsverkehr mit inner- und außeralpinen Zielen. Bei den Lkw-Fahrten handelt es sich um inneralpine Transporte und solche zu außeralpinen Geschäftspartnern.  Der touristische Verkehr bringt es immerhin auf 15-25 Mrd. km/Jahr. Dagegen nimmt sich der so oft über alle Maßen kritisierte Transitverkehr mit Lastkraftwagen über die Alpenpässe mit etwa 1,3 Mrd. km/Jahr relativ niedrig aus.

 

Für Mercedes-Benz, deren Fahrzeuge in all den vorgenannten Verkehrssegmenten zu finden sind, hat das volkswirtschaftliche und gesellschafts­politische Thema Alpentransit eine hohe Bedeutung. Auch aus diesem Grund wurde die Veranstaltung „Transalp Trucking 2010“ am San-Bernardino-Pass durchgeführt. Im Rahmen dieses  Ereignisses mit fünf historischen Mercedes-Benz Lkw aus fünf Jahrzehnten und modernen Actros-Fernverkehrs-Lkw wird aufgezeigt, was sich bei den Fahrzeugen selbst und damit auch im Sektor Lkw-Transport auf Alpenstraßen in den zurückliegenden Jahrzehnten bis heute positiv verändert hat.

 

Der San-Bernardino-Pass ist zusammen mit dem Julier-Pass die wichtigste Nord-Süd-Verbindung des Kantons Graubünden. Er verbindet die Täler Rheinwald auf der Alpennordseite und Misox (Val Mesolcina) auf der Alpensüdseite. Die Distanz zu den jeweiligen Paßausgangsorten Hinterrhein (1620 m ü. M.) – hier beginnt der San-Bernardino Tunnel – und Mesocco (790 m ü. M.) beträgt in der Luftlinie nur vier Kilometer, auf der Straße sind es 12 km. Der Tunnel kann auch als Sprachgrenze zwischen Deutsch und Italienisch gesehen werden. Der Paß ist Garant für die ganzjährige Anbindung des italienisch­sprachigen Bündner Südtales zum übrigen Kanton. In der Fortsetzung über Bellinzona und Lugano stellt der San-Bernardino-Pass für den Alpentransitverkehr  eine wichtige Verbindung in die Industrieregion Oberitalien und zur Lombardei-Metropole Mailand dar. Über den Paß schleppen heute pro Jahr etwa 165.000 Lkw rund 3,5 Mio. t Güter.

 

Dem Alpentransitverkehr als solchem gereicht zum Nachteil, daß er sich auf einige wenige Pässe konzentrieren muß, die zugleich auch durch den touristischen Verkehr stark beansprucht werden, und so zu hohen Verkehrsbelastungen führt.

 

Schon seit Menschengedenken werden Waren von allen europäischen Ländern untereinander ausgetauscht und müssen dabei den Weg über die Alpen antreten. Beredte Belege dieses Austausches sind einige der ältesten Steinwerkzeuge, die in den Alpen gefunden wurden. Sie beweisen, daß die Menschen zu allen Zeiten versucht haben, das natürliche, für sie oft genug abschreckende Bollwerk der Berge zu überwinden. Der erste Transitboom, der dank römischer Schreiber historisch belegt ist, hielt mit der Weltmacht Rom Einzug, denn die Legionen diesseits der Alpen brauchten Waffen und Nachschub. Sie brachten aber auch Händler, Handwerker und anderes Volk in diesen Lebensraum.

 

Eine der großen zivilisatorischen Leistungen Roms ist der Straßenbau - vorrangig auf Talstrecken, die Berge wurden möglichst gemieden.
Mit dem Ende des Römischen Reiches verfielen viele dieser Straßen wegen des fehlenden baulichen Unterhalts. Doch römische Landvermessung hat nützliches Erbe für spätere Generationen vielerorts Streckenführungen hinterlassen, die  heute noch als sogenannte Römerstraßen sichtbar sind und zahlreiche Regionen Europas prägen.

 

Nach der Römerzeit blieb der Handel auch im Mittelalter eine wichtige Funktion unter den daran beteiligten Völkern.  Aus dem Norden Europas  lief schon im 10. Jahrhundert ein Bündel von Handelswegen auf Italien zu. Der Fortschritt des Handels beruhte auf den zunehmend neuen Siedlungen, die in dieser Zeit gebaut worden sind, sowie dem raschen Zuwachs an Handwerksprodukten, die zur Ausfuhr bestimmt waren. Mit dieser Entwicklung einher gehen Ausbreitung und Verbesserung der Straßen. Auch die Befriedung und Sicherheit der Straßen wurde zusehends besser. Dies erlaubte das Anlegen von Landstraßen auch über die Alpen, welche die wichtigsten Industrie- und Handelszentren in Nord- und Mittelitalien mit jenen Nordwesteuropas verbunden haben. Ende des 13. Jahrhunderts gab es unter anderem schon den von Kaufleuten und ihren Transporteuren rege benutzten Handelsweg über St. Gotthard und Kleiner St. Bernhard. Diese Routen verbanden Mailand, Venedig und Genua mit Gent und Paris. Diese Straßen führten dann weiter nach London oder Hamburg. Wichtige Handelsprodukte waren u. a. Salz, Tuche, Getreide und Wein auf dem Weg von Süden nach Norden. In der Gegenrichtung waren vor allem Wolle, Pelze und Honig gefragt.

 

Nicht erst mit der Eisenbahn und dem Lastwagen ist das Umschlaggeschäft zu einem wichtigen Wirtschaftssektor für die Bewohner an den Handelsstraßen geworden. Schon im Mittelalter war der Warentransport gut geregelt. Die damalige Art der Frachtorganisation teilte die Transportrouten jeweils in Teilabschnitte zwischen größeren Orten, die das Niederlagerecht besaßen. Dort mussten die Händler ihre Waren im Ballenhaus abladen und den Wagen wechseln, so daß die Fuhrleute immer nur eine relativ kurze Strecke zurückzulegen hatten, die sie zudem gut kannten. So wurden die Zugtiere geschont und die Kaufleute konnten auch deshalb mit einer verlässlichen Beförderung ihrer Handelsgüter rechnen. Das Geschäft blieb auf diese Weise bei den lokalen Frachtunternehmern – keiner konnte die ganze Strecke an sich reißen.

 

Im 18. und 19. Jahrhundert setzt die industriellen Entwicklung ein, überall wurden Straßen ausgebaut und verbessert, um die Waren besser und schneller transportieren zu können.

 

Bis zum Straßenbau in den Jahren 1818 bis 1823 kannten die Pässe Splügen und San Bernardino den durchgehenden Straßenverkehr nicht. Die Bündner Regierung erteilte im Jahr 1817 dem Straßenbauer und Tessiner Staatsrat Giulio Pocobelli den Auftrag, ein Projekt mit Kostenvoranschlag für die 120 km lange Straße vom Rheintal bei Chur über den San-Bernardino-Pass bis zur Tessiner Kantonsgrenze kurz vor Bellinzona zu erarbeiten. Bei der Finanzierung nahm der Churer Speditionsstand eine herausragende Stellung ein, denn er wollte möglichst viel von seinen Vorstellungen in Bezug auf einen starken und gut organisierten Transportbetrieb verwirklicht sehen.

 

Die Gesamtkosten des Straßenbaus über San Bernardino und Splügen auf Bündner Gebiet beliefen sich schließlich auf nahezu 2 Millionen Schweizer Franken, von denen allein der Churer Speditionsstand dann 724.000 Franken übernommen hat. Die durchgehend sechs Meter breite Bernardino-Straße war im Jahr 1821 befahrbar, 1822 konnte der neu erstellte Fahrweg von Splügen am Hinterrhein zur Paßhöhe und italienischen Grenze dem Verkehr übergeben werden. 1823 erreichte die San-Bernardino Paßstraße ihre endgültige Vollendung. Der Höhepunkt des Paßverkehrs war Mitte der 1850er Jahre erreicht. Die Fahrt von Chur nach Mailand dauerte nur noch knapp zwei Tage.

 

lupe_anima  Mercedes-Benz LP 333 - Hauser

 

Von 1867 an eroberte die Eisenbahn auch das Verkehrswesen im Alpenraum. Dies ließ den Straßenverkehr schlagartig zurückgehen. Auf nur sechs Linien – Fréjus (Frankreich), Lötschberg-Simplon (Schweiz), Gotthard (Schweiz), Brenner (Südtirol), Tauern (Österreich) und Pyhrn (Ös-terreich) – konzentrierte sich bis 1914 der gesamte Transitverkehr. Viele Alpentäler wurden dadurch an die Peripherie gedrängt, denn die großen Längsverbindungen wurden nur wenig mit Eisenbahnen erschlossen und meist den Schmalspurbahnen überlassen, von denen mit der Rhätischen Bahn eine der bedeutendsten im gesamten Alpenraum in Graubünden zuhause ist. Das große grenzüberschreitende Eisenbahnnetz in den Alpen spiegelt dagegen eindeutig die außeralpinen Interessen wider. Die Alpenbahnen über den Brenner (1867) und durch den Mont Cenis (1872) schmälerten den Anteil des San Bernardino Passes am Alpentransit erheblich. Die Eröffnung der Gotthardbahn (1882) brachte den Verkehr über die Bündner Pässe schließlich fast zum Erliegen.

 

Angesichts der Straße durch die Via Mala zwischen Thusis und Zillis läßt man sich schnell zur der euphorischen Einschätzung vom „Sieg der Kunst über die raueste Natur“ hinreißen. Und wer heute, da die Autobahn diese immer noch furchterregende Schlucht mit ihren bis zu 500 Meter hohen Felswänden  rechts liegen läßt, den kleinen, lohnenden Umweg zur Via Mala macht, um dieses Naturbild zu betrachten, wird erschaudern vor so viel steingewordener Gewaltigkeit.

 

Dem Kraftverkehr ist es zu verdanken, dass auch die entlegensten Täler an der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung teilhaben konnten. So bewirkte der Bau der San Bernardino-Straße zwischen Graubünden und dem Tessin die Realisierung einer befahrbaren Straße auch über den Gotthard. In zahlreichen Gebirgsgegenden spielte bald schon der Tourismus eine nicht unbedeutende Rolle beim Ausbau des Straßennetzes.

 

Im „Handbuch der Bündner Geschichte“ steht im Abschnitt unter der Überschrift „Der Kampf um das Automobil“: „In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts tauchten auf den Bündner Straßen die ersten Autos auf. Die neuen Vehikel riefen großes Aufsehen und bald die ersten Beschwerden hervor. Die Regierung verfügte deshalb im August 1900 wegen der Gefährdung des Post- und Fahrverkehrs kurzerhand ein vollständiges Autoverbot auf Bündner Straßen. Einige Spezialbewilligungen vergab sie insbesondere für Lastautos. 1907 wollte eine großrätliche Verordnung den Autoverkehr auf Durchgangsrouten erlauben. In der Volksabstimmung erlitt die Vorlage aber eine massive Abfuhr. Nicht weniger als zehn heiß umstrittene Urnengänge brauchte es zwischen 1907 und 1925, bis Graubünden den motorisierten Grundsatz akzeptierte – als letzter Kanton der Schweiz und sehr viel später als das angrenzende Ausland. Auch nach der knappen Zustimmung vom 25. Juni 1925 zur teilweisen Zulassung des Automobils wurden nicht alle Straßen sofort geöffnet. Insbesondere blieben den Lastautos Strecken verboten, die die Rhätische Bahn bediente.“ Und noch bis zum Jahr 1931 durften Bergstrecken nur bis zur Hälfte der vorgesehenen Distanzen mit Lastwagen befahren werden, damit den Pferde- und Fuhrwerkhaltern noch ein Teil der früheren Arbeit blieb. Erst nach 1931 wurde nach insgesamt 11 Volksabstimmungen der gewerbsmäßige Lastwagenverkehr uneingeschränkt bewilligt.

 

Hans Fischer, Taxi- und Fuhrunternehmer aus Chur, konnte demzufolge erst im Jahr 1931 den ersten Lastwagen zum gewerblichen Einsatz im Kanton zulassen. Über 30 Jahre später war das Unternehmen Fischer beim Ausbau der San-Bernardino-Paßstraße und dem Bau des San-Bernardino-Tunnels täglich mit seinen Lkw zum Zementtransport im Einsatz. Der Zement kam aus dem Zementwerk in Untervaz bei Chur, von wo aus er mit der Rhätischen Bahn bis Thusis transportiert wurde. In dem insgesamt sieben Jahre dauernden Baueinsatz schleppten seine Lkw 280.000 Tonnen Zement für den Bau der 12 kleineren Tunnels über die 38 Kilometer zwischen Thusis und dem Ort Hinterrhein sowie bis zur Großbaustelle des 6,6 km langen San-Bernardino-Tunnels. „Wir waren jeden Tag mit bis zu sieben Silofahrzeugen vom Zementwerk in Untervaz am Rhein bis nach Hinterrhein unterwegs. Für eine Fuhre benötigten wir zweieinhalb bis drei Stunden Fahrzeit“, erinnert sich der Transportunternehmer. Noch präsent ist ihm auch die große Problematik, die sich auf dem Weg vom Ort Splügen bis Hinterrhein ergaben. Die Straße war schlecht, überhaupt nicht ausgebaut, nur geschottert, hatte Schlagloch an Schlagloch.

 

Es waren sehr beschwerliche Fahrten auf diesem Rest der Strecke, die nur eine Maximalgeschwindigkeit von 25 km/h zuließ. Schäden an der Radaufhängung waren an der Tagesordnung. Während der Bauphase hat sich herausgestellt, daß die schwierigen geologischen Verhältnisse bis zu 120 t Zement pro Tag erforderten und deshalb waren täglich bis zu sieben Fischer-Lkw im Einsatz, darunter die Kurzhauber Mercedes-Benz 1920 mit 200 PS, 9 t Nutzlast und dem ersten Direkteinspritzer-Dieselmotor OM 302.

 

1967 wurde der 6,6 km lange San-Bernardino-Tunnel als Teil der Nationalstraße 13 zwischen den Dörfern Hinterrhein im Rheinwald und San Bernardino auf der Alpen­südseite eröffnet. Die auf 2065 m ü. M. führende Paßstraße ist nach wie vor nur im Sommer geöffnet und eignet sich nicht für den Lkw-Verkehr, ist heute meist die landschaftlich reizvolle Alternative zum im Sommer besonders stark frequentierten Tunnel. Nach dem Gotthard-Tunnel ist der San-Bernardino-Tunnel der zweitwichtigste Alpenübergang für den Güter- und Individualverkehr. Rund 25 Jahre nach seiner Eröffnung mußte der Tunnel von 1991 bis 2006 bei Aufrechterhaltung des Verkehrs total saniert und umgebaut werden, denn die heutige Verkehrsdichte war bei seiner Planung noch nicht abzusehen und auch das Sicherheitskonzept bedurfte umfang­reicher Erneuerung. Die Gesamtkosten dieser Totalrenovierung beliefen sich auf rund 150 Millionen Euro.

 

lupe_anima Mercedes-Benz 1624 LS Hauber

 

Mit der Daimler Veranstaltung „Transalp Trucking 2010“ wird die enorme und immer umweltgerechtere Effizienzsteigerung der Lastwagen für den Gütertransport deutlich. Seit über 50 Jahren steht der Prozeß zur Reduzierung von Verbrauch und Emissionen bei gleichzeitiger Steigerung der ergonomischen und sicherheitsspezifischen Standards im Vordergrund. Mit Hochdruck wird an einer spürbaren Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs, des CO2-Ausstoßes sowie der Abgasemissionen gearbeitet.

 

Dieselmotoren sind durch die ständige Weiterentwicklung zu High-Tech-Triebwerken geworden. Sie beweisen ihr Potenzial durch die ständig minimierten Emissionen und eine immer höhere Energieeffizienz. So ist der Kraftstoffverbrauch nochmals drastisch niedriger geworden, um beispielsweise 2000 Liter pro Jahr bei einem Fernverkehrs-Lkw. Auch die Emissionen bei Partikeln und bei den Stickoxiden sind seit 1990 im Durchschnitt um weit über 90 Prozent zurückgegangen. Angesichts dieser für Umwelt und Menschen sehr positiven Entwicklung findet die Fahrveranstaltung „Transalp Trucking 2010“ in Graubünden, mit Demonstrationsfahrten über den San Bernardino mit Lastwagen aus fünf Jahrzehnten, in der passenden Umgebung statt.

 

Das heute schon bekannte Ergebnis auf der Verbrauchsseite eines Lastwagens kann sich sehen lassen: Verbrauchten die Lastwagen früherer Jahre für den Transport einer Tonne Nutzlast über den Pass noch 6 Liter Kraftstoff, so benötigt ein moderner Mercedes-Benz Actros, Baujahr 2010, gerade noch 1,8 Liter für die gleiche Leistung.

 

In den 50 Jahren zwischen LP 1620 und Actros dokumentiert sich der Fortschritt inklusive reduzierter Fahrer-Beanspruchung drastisch, wie eine Testfahrt zeigt. Die Vergleichstestfahrt beginnt am frühen Morgen. In Wörth beim Daimler-Montagewerk wird die 542 Kilometer lange Tour von Stuttgart über den San Bernardino in das Schweizer Dörfchen Lostallo gestartet.

 

Die beiden Testfahrzeuge unterscheiden sich deutlich von einander: Ein moderner Actros-Sattelzug mit 440 PS tritt gegen einen 200 PS starken LP 1620 mit Hänger an. Dazwischen liegen rund 50 Jahre Fortschritt in der Entwicklungsarbeit von Nutzfahrzeugen. Im Actros drückt sich das nicht nur in der deutlich gesteigerten Leistungsreserve, im vollautomatischen Getriebe mit zwölf Fahrstufen und im Retarder als zusätzliches Bremssystem zur elektronisch gesteuerten Hochdruckbremsanlage aus.

 

Weitere für diesen Test entscheidende Ausstattungsmerkmale des Actros zeigen, wie groß inzwischen der technische Abstand zu seinem Vorfahren ist und wie viel Beachtung heute dem Fahrkomfort gewidmet wird. Das betrifft zum Beispiel die deutlich verbesserte Geräuschdämmung und Klimatisierung des Fahrerhauses, maßgeschneiderten Sitzkomfort und ergonomisch gestaltete Bedienelemente.

 

lupe_anima  Mercedes-Benz 1624 LS Hauber

 

Im Test “Actros gegen LP 1620“ haben die Daimler-Entwicklungsingenieure nicht nur die Fahrzeuge, sondern auch die Fahrer genau unter die Lupe genommen. In Frage kommen nur Berufskraftfahrer mit jahrzehntelanger Lkw-Erfahrung – der eine 56 Jahre alt, der andere sieben Jahre jünger. Denn der Test sollte auch Ergebnisse darüber liefern, ob das Alter eine entscheidende Rolle bei der physischen und mentalen Belastung beim Steuern eines Lkw spielt.

 

Bevor es mit Actros und LP 1620 raus auf die Straße geht, setzen die Fahrer eine mit 16 Sensoren bestückte EEG-Kappe auf. Damit werden während der Fahrt die Gehirnströme erfasst. Die Messungen beginnen genau eine halbe Stunde nach Abfahrt in Richtung Lostallo.

 

Für Nervosität oder Ablenkung gibt es auf den langen Autobahnabschnitten bis zur Schweizer Grenze keinerlei Anzeichen.

 

Eine völlig andere Situation diagnostizieren die Elektroden im LP 1620 beim Anstieg zum San Bernardino. 26 Straßenkilometer mit Serpentinen, Engstellen und dunklen Tunnels beanspruchen die Konzentration so stark, dass sich die kognitive Verarbeitung der eingespielten Töne um mehr als 300 Millisekunden verlangsamt. Als auf der Rückfahrt am nächsten Tag der ältere Fahrer den LP 1620 steuert, zeigt sich beim Auf- und Abstieg zum San Bernardino nahezu dasselbe Ergebnis. Seine Werte liegen nur unwesentlich über denen des jüngeren Fahrers.

 

Die verlangsamte Reizverarbeitung im LP 1620 beträgt im Vergleich zum Actros bis zu 400 Millisekunden. Auf den ersten Blick nur ein kurzer Moment. Wird dieser Wert aber in Abfolge von “Signal-Wahrnehmung-Reaktion“ beziehungsweise “Bremslicht sehen, bewusst wahrnehmen und selbst bremsen“ gesetzt, ergibt sich bei einem 80 km/h schnellen Lkw eine um neun Meter später eingeleitete Bremsung.

 

Auch die EKG-Auswertung bei beiden Fahrern beweist, wie stark die technischen Fortschritte zur Entlastung beim Lkw-Steuern beitragen. Die Herzfrequenz – quasi das Spiegelbild für physische Beanspruchung – klettert beim jüngeren Fahrer im LP 1620 um zehn Prozent höher als im Actros. Um bis zu 20 Prozent häufiger schlägt das Herz des älteren Fahrers beim Anstieg zum San Bernardino. Hier wird der Altersunterschied am deutlichsten. Denn nicht nur hohe Lenkkräfte und das nicht synchronisierte Schaltgetriebe erfordern eine gute körperliche Kondition.

 

Der jüngere Fahrer kommt bei der Rückfahrt im Actros aber noch in den Genuß eines weiteren Vorteils. Aufgrund der hohen Leistungsreserve seiner Zugmaschine darf er eine halbe Stunde später starten als der Kollege im LP 1620. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h schraubt sich der 40-Tonner die Serpentinen zum San Bernardino-Tunnel hoch – doppelt so schnell wie der LP 1620 mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 32 Tonnen. Oben angekommen hat er seinen Kollegen schon eingeholt. Und das bei sehr entspannter Fahrt, wie die spätere Auswertung der EKG- und EEG-Kurven ergeben.

 

lupe_anima  Mercedes-Benz LP 1620

 

Vor 50 Jahren beginnt die Wandlung vom Hauben-  zum High-Tech-LKW

Vor 50 Jahren heißt die Europäische Union heißt noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die bekanntesten Politiker Europas sind Konrad Adenauer, Charles de Gaulle und Nikita Chruschtschow. Westeuropa wächst zusammen, aus einst erbitterten Feinden sind Partner oder gar Freunde geworden. Eine scharfe Grenze teilt West- und Osteuropa in zwei Blöcke. Alpenüberquerungen sind harte Arbeit für die Kapitäne der Landstraße. Grenzüberquerungen sind aufwendig, komplizierte Kontrollen und Zollhürden müssen durchstanden werden. Im Portemonnaie nehmen Fernfahrer D-Mark, Franc, Lire, Schweizer Franken oder österreichische Schilling mit auf große Fahrt.

 

Lkw des Jahres 1960 sind laut und hüllen ihre Umgebung unter Volllast in Abgaswolken. 50 Jahre später rollen sie gedämpft und mit Emissionen über die Autobahnen, die 1960 noch nicht einmal messbar waren. Ein Lkw mit rund 150 kW oder 200 PS und 700 Nm Drehmoment gilt 1960 als Kraftprotz zum Bewegen von 32 Tonnen. Mehrere Lkw-Generationen später sind mehr als die doppelte Leistung und das dreifache Drehmoment in Europa angemessen für rund 40 Tonnen. Zur Fortbewegung eines 32 Tonnen schweren und etwa 3,6 m hohen Lastzugs sind zu Beginn der sechziger Jahre etwa 50 Liter Diesel pro 100 km notwendig. Heute ziehen 40 Tonnen schwere und 4,0 m hohe Sattelzüge mit einem Drittel weniger Diesel durch Europa.

 

Lkw-Fahrer verrichteten seinerzeit körperlich harte Arbeit. Ein halbes Jahrhundert später sind wohnliche statt karg eingerichtete Fahrerhäuser üblich, arbeiten Motoren gedämpft statt brüllend, nehmen Fahrer in klimatisierten statt mühsam temperierten Kabinen mit Kühlschrank statt Butterbrotdose Platz und steuern vollautomatisierte statt schwergängige Getriebe. Die Nacht verbringen sie auf nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gefederten Liegen statt auf einfachen Pritschen.
Auch seinerzeit galten Lkw wie ein Mercedes-Benz LP 333 als hochmodern, doch im Vergleich dazu ist ein Actros Jahrgang 2010 wie von einem anderen Stern.

 

lupe_anima Mercedes-Benz LP 1620

 

Die Lkw-Entwicklung steckt um 1960 in einer Phase der Grundsatzentscheidungen. Der Weg führt von Last- zu Sattelzügen, vom Dieselmotor mit indirekter Einspritzung zum wirtschaftlichen Triebwerk mit direkter Einspritzung, vom Haubenwagen zum Frontlenker.  Erster Frontlenker bei Mercedes-Benz ist 1955 der LP 315. Der Buchstabe „L“ steht für Last­wagen, „P“ für Pullman-Fahrerhaus. Die Ziffernkombination in der Typenbezeichnung steht für eine Konstruktionsnummer, gleichlautend für Lkw und Motor.

 

Die Frontlenker-Bauweise schafft Platz für eine separate Schlafkabine für die seinerzeit übliche Zwei-Mann-Besatzung, auch wächst die Pritschenlänge um einen Meter und die Nutzlast steigt. Als Nachteil ragt der Motor ins Fahrerhaus, ein Minus auch für den Service: Das Nachfüllen von Motoröl erfolgt in der Kabine nach Demontage einer Abdeckung – bei einem Ölverbrauch von 0,4 l/100 km eine regelmäßige Übung. Auch der Kühlmittelvorrat wird innen ergänzt. 145 PS Motorleistung aus 8,3 Liter Hubraum, ein Sechsgang-Klauengetriebe und 70 km/h Höchstgeschwindigkeit reichen für den Fernverkehr aus. Der stärkere LP 326 indes fährt ab 1957 schon mit 200 PS aus 10,8 Liter Hubvolumen eines Vierventil-Saugmotors vor – erst nur in Exportländern, dann in Deutschland. Lkw-Motoren sind empfindliche Gebilde: in den fünfziger Jahren erhalten Fahrer für eine Strecke von 100 000 km ohne Generalüberholung noch ein persönliche Anerkennung.

 

Seit 1958 gilt in Deutschland eine Mindestleistung von 6 PS/Tonne zulässigem Gesamtgewicht für Lkw. Eine Motorbremse ist aus Sicherheitsgründen vorgeschrieben. Der Liter Diesel kostet umgerechnet 25 Euro-Cent. Die heutige EU ist in ihren Bestimmungen ein Flickenteppich. In Deutschland etwa treten 1958 neue Vorschriften zum Schutz der Bahn in Kraft. Der Gesetzgeber begrenzt die maximale Länge von Lastzügen auf 14 statt bisher 20 Meter, Sattelzüge dürfen 13 Meter messen. Das maximale Lastzuggewicht sinkt von 40 auf 24 Tonnen, im Gleichklang die erlaubten Achslasten, dreiachsige Anhänger sind verboten. Der Sonderweg führt zu unterschiedlichen Baureihen für Inland und Export. Auch dort herrscht keine Einigkeit: In Italien gelten 36 Tonnen zulässiges Zuggesamtgewicht, in Frankreich 35 Tonnen. In den Niederlanden gibt es kein Limit für das Gesamtgewicht, aber maximal acht Tonnen Achslast und höchstens 18 Meter Länge.

 

Die Antwort auf die Gesetzeslage heißt bei Mercedes-Benz LP/LPS 333 (LP = Lastwagen-Pullman, LPS = Lastwagen-Pullman-Sattelzugmaschine). Die Aufsehen erregende Konstruktion des Frontlenkers basiert auf zwei gelenkten Vorderachsen plus Antriebsachse. Sie trägt ihm den bis heute gebräuchlichen Spitznamen Tausendfüßler ein. Mit jeweils vier Tonnen Achslast vorn, acht Tonnen auf der Antriebsachse plus 16 Tonnen Anhänger rettet der LP 333 den Unternehmen 32 Tonnen Lastzug-Gesamtgewicht bis 1960.

 

Der Einstieg in die Kabine ist mühsam, Fahrkomfort und Fahrverhalten dank der Achskonfiguration dagegen ausgezeichnet. Der 10,8 Liter große Motor mit Vorkammer-Einspritzung leistet 200 PS. Sein maximales Drehmoment beläuft sich auf 72 mkg oder 706 Nm. Ein Synchrongetriebe mit sechs Gängen überträgt die Kraft. Das Arbeitsgeräusch des Motors dringt – trotz des Hinweises im Katalog auf eine Schaumstoffabdeckung – weitgehend ungedämmt ins Fahrerhaus. Ein Hinweis auf die serienmäßige Heizung fehlt nicht.

 

Der Fahrer kurbelt an einem fast waagerecht liegenden, elfenbeinfarbigen Lenkrad. Neben Tacho und einem kleinen Drehzahlmesser ist ein Kombiinstrument die wichtigste Informationsquelle. Es informiert über Wasser-, Brems- und Öldruck sowie den Tankinhalt. Am Ende des Blinkerhebels blinkt eine Lampe im Takt des Fahrtrichtungsanzeigers; eine gelbe Lampe in der Instrumententafel weist auf mangelnden Fülldruck der Reifen hin.

 

Die extremen Einschränkungen sind indes nur von kurzer Dauer: Bereits 1960 sind in Deutschland 16,5 Meter Länge für Lastzüge und 15 Meter für Sattelzüge sowie 32 Tonnen Zuggewicht erlaubt, 1965 werden daraus 38 Tonnen. Damit wird der außergewöhnliche LP 333 an den Rand gedrängt, schon 1961 endet die kurze Ära eines der außergewöhnlichsten Lkw der Nutzfahrzeuggeschichte.

 

Nicht beendet ist dagegen die generelle Diskussion über Last- und Sattelzüge und deren Ausprägungen. Fachjournalisten empfehlen Anfang der Sechziger Jahre vor den heute üblichen standardisierten Paletten- und Containermaßen wegen der besseren Fahreigenschaften Kurzhauber- statt Frontlenker-Sattelzugmaschinen, trotz des Verlusts an Ladelänge. Frontlenker gelten als zweckmäßige und günstige, indes als technisch wenig elegante Lösung. Gleichzeitig tritt die Presse vehement für synchronisierte Getriebe sowie vielfach verstellbare und hydraulisch gefederte Fahrersitze und Servolenkungen ein. Erst kurz zuvor war speziell für Sattelzüge vom Gesetzgeber eine automatisch lastabhängige Bremskraftverteilung (ALB) vorgeschrieben worden, um die Gefahr des berüchtigten Einknickens des Zugs auf glatter Fahrbahn zu begrenzen.

 

lupe_anima  Mercedes-Benz LP 1620

 

Die engen Längenvorschriften beeinflussen 1959 auch die Konstruktion der neuen Mercedes-Benz-Haubenwagen.
Es handelt sich um  Kurzhauber, da die Motoren platzsparend ein Stück in die Kabine hineinragen. Typisch für die Optik ist der Entfall klassischer Kotflügel, die Form erinnert an die Ponton-Bauweise zeitgenössischer Pkw. Den ovalen Kühlergrill übernehmen die Haubenwagen von den Frontlenkern. Startmodell der schweren Hauber ist 1959 der L 337, dem ein Jahr später der etwas stärkere L 338 (später L 1418) sowie der L 334 (L 1620) folgen. Unter der Haube ist Platz für die Sechszylinder-Reihenmotoren mit zunächst 10,8, später auch deutlich mehr Hubraum. Der L 334 und seine Geschwister als Sattelzugmaschine, Kipper sowie mit Allradantrieb werden wie andere Lkw für den Export als Zweiachser mit 19 t zulässigem Gesamtgewicht ausgeführt.

 

1963 präsentiert Mercedes-Benz die neue LP-Baureihe. Das streng kubische Fahrerhaus des neuen LP 1620 erregt Aufsehen. Schon die Typenbezeichnung deutet neue Zeiten an: Die ersten zwei Ziffern stehen für das zulässige Gesamtgewicht des Motorwagens von 16 Tonnen, die beiden hinteren Ziffern beziehen sich auf die Nennleistung, hier 200 PS. Schon optisch liegen Welten zwischen der bisherigen und der aktuellen Generation. Sie überzeugt mit breitem Einstieg, großzügiger Verglasung sowie geräumigen Platzverhältnisse mit einem sehr flachen Motortunnel und einer Klappliege hinter den Sitzen.

 

Mercedes-Benz verzichtet auf eine Kippkabine, ersetzt jedoch die früheren Servicepunkte innerhalb der Kabine durch eine Vielzahl von Wartungsklappen rund um das Fahrerhaus. Es verfügt über eine eigenständige Federung, vorn zwei Gummitöpfe, hinten eine Blattfeder mit zwei Stoßdämpfern. Das Interieur ist aus heutiger Sicht schlicht: Die Sitze ruhen auf einem Rohrrahmen, der Katalog weist unter anderem auf die serienmäßige Scheibenwaschanlage und elastische Stoßwülste an der Armaturentafel sowie gepolsterte Fensterkurbeln als Merkmale der Ausstattung hin.

 

Bereits ein Jahr später erfolgt unter der Kabine ein wesentlicher Fortschritt: Direkteinspritzer-Dieselmotoren der Baureihe OM 346 ersetzen im Jahr 1964 die bisher verwendeten Vorkammer-Diesel. Bei einer Leistung von 202 PS und bald 210 PS aus unverändert 10,8 Liter Hubraum sinkt der Kraftstoffverbrauch mit diesem Schritt bis zu ein Viertel. Angesichts von Dieselpreisen von durchschnittlich 26 Euro-Cent in Deutschland ein enormer Fortschritt. Bei konstant 80 km/h verbraucht die Kombination 32 l/100 km.

 

Dabei hilft die längste Achsübersetzung für eine Höchstgeschwindigkeit von 86 km/h, 6 km/h mehr als Deutschland für Lkw erlaubt. Das Maximum an Drehmoment beläuft sich auf 72 mkg/687 Nm, in diesen Zeiten genug für 32 Tonnen, ja sogar für die neuerdings erlaubten 38 Tonnen Zuggesamtgewicht sowie 18 Meter Lastzuglänge.

 

lupe_anima  Mercedes-Benz NG 1632 S

 

Mitte der sechziger Jahre beginnen auf standardisierten Strecken Messungen von Kraftstoffverbrauch und Durchschnittsgeschwindigkeit. Der Mercedes-Benz 1620 L konsumiert in einem Vergleichstest von vier 38-Tonnern 49,3 l/100 km und umrundet die Teststrecke mit einer Geschwindigkeit von 49 km/h. Er fährt noch nicht auf den neuen Gürtelreifen. Alle 10 000 km ist in dieser Zeit ein Wechsel des Motoröls erforderlich, alle 20 000 km muss das Öl von Getriebe und Hinterachse erneuert werden.

 

Mit steigenden zulässigen Gesamtgewichten setzt Mercedes-Benz auf höhere Leistung: 1967 steigt sie zusammen mit einer Erweiterung des Hubraums auf 11,6 l Hubraum auf 169 kW (230 PS) entsprechend 4,4 kW oder 6 PS/Tonne sowie auf ein Drehmoment von 81 mkp/795 Nm.  Zwei Jahre später sind 177 kW (240 PS) und 83 mkp/815 Nm erreicht. Mit 169 kW (230 PS) erreicht der Mercedes-Benz LP 1623 als 38-Tonnen-Lastzug im Test eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 48 km/h bei 44,2 l/100 km Verbrauch. Das gilt in den sechziger Jahren kurz nach der Umstellung auf Motoren mit Direkteinspritzung als genügsam. Trommelbremsen sind noch auf Jahrzehnte hinaus selbstverständlich, eine mechanische Stockhandbremse mit Druckluftunterstützung sichert den Zug im Stand.

 

Mit langem Fahrerhaus, 3600 mm Radstand, 200 l Kraftstoff und einem nicht synchronisierten Sechsganggetriebe wiegt die Sattelzugmaschine Mercedes-Benz LP 1624 ohne Reserverad 6,2 Tonnen. Bei einer Nenndrehzahl von 2200/min erreicht der Lkw 85 km/h. Die Steigfähigkeit mit 38 Tonnen Zuggewicht beläuft sich auf eher bescheidene 16 Prozent.

 

Das Modellprogramm wächst: Zum verlängerten Fahrerhaus mit zwei fest eingebauten Liegen von 1965 gesellen sich dreiachsige Sattelzugmaschinen mit gelenkter Vorlaufachse in der Tradition des legendären LPS 333. Zwei Jahre später ergänzt Mercedes-Benz das Fernverkehrs-Programm um Dreiachser mit zwei angetriebenen Hinterachsen sowie mit Nachlaufachse. 1969 folgt als nächster Schritt die Einführung einer Kippkabine, zusammen mit einem erhöhten Dach.

 

lupe_anima Mercedes-Benz NG 1632 S

 

Einzug hält bei Mercedes-Benz 1969 die Motorenbaureihe 400, beginnend mit einem V10 mit wuchtigen 15,95 Liter Hubraum (Baumuster OM 403). Er leistet 235 kW (320 PS), die dazugehörige Typenbezeichnung Mercedes-Benz LP/LPS 1632 ist legendär. Die hohe Leistung ist ein Vorgriff auf eine Vorschrift der deutschen Politik: Gefordert ist für Lkw eine Leistung von 5,9 kW (acht PS) pro Tonne. Das Vorhaben wird zwar kurzfristig zurückgestellt, doch der Motor bleibt im Programm und entwickelt sich zum Erfolgsmodell. An deutschen Tankstellen bezahlt man umgerechnet 28 Euro-Cent für den Liter Diesel. Mercedes-Benz baut das neue Motorenprogramm weiter aus: 1972 folgt für schwere Einsätze ein V8 mit 12,8 Liter Hubraum und 188 kW (256 PS) Leistung. Der bewährte Reihensechszylinder OM 355 mit 177 kW (240 PS) läuft parallel weiter.
Im Test erreicht der LP 1632 mit 38 Tonnen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 58 km/h bei einem Verbrauch von exakt 48,1 l/100 km. Das maximale Drehmoment beläuft sich auf 103 mkp/1010 Nm bei 1500/min. Mit 73 db(A) bei 80 km/h gilt das Geräuschniveau als günstig.

 

Parallel zu den LP-Frontlenkern fertigt Mercedes-Benz weiterhin die Haubenwagen der L-Baureihe, auch als Sattelzugmaschine. Ein LS 1624 etwa ist Mitte der sechziger Jahre mit 38 Tonnen unterwegs. 177 kW (240 PS) und 83 mkp/ 815 Nm Drehmoment, unsynchronisiertes Sechsganggetriebe (wahlweise mit Vorschaltgruppe) und zweifach übersetzte Achsen kennzeichnen den Antriebstrang. Das Fahrerhaus ist karg eingerichtet, die Auflistung der Einrichtung vergißt nicht einmal Details wie eine zweite Sonnenblende oder den Hinweis auf ein Gabelfallenschloss, das ein Aufspringen der Türen während der Fahrt verhindert. Die Ära der Hauben-Lkw im Inland endet erst mit Einführung der nächsten Lkw-Generation Anfang der siebziger Jahre. Für den Export werden sie noch weit länger gefertigt.

 

lupe_anima Mercedes-Benz Actros

 

Exakt zehn Jahre nach Vorstellung des LP mit kubischem Fahrerhaus folgt in zwei Schritten seine Wachablösung.  Als Vorhut präsentiert Daimler-Benz 1973 zuerst neue Kipper, ein Jahr später die entsprechenden Lkw für den Fernverkehr.
Die Motoren der Baureihe 400, sie setzt sich nun aus V6, V8 und V10 mit 9,6 mit 12,8 sowie 15,95 l Hubraum zusammen, Bohrung und Hub haben jeweils identische Maße, das Verhältnis von Bohrung (125 mm) zu Hub (130 mm) ist fast quadratisch. Die Leistung reicht von 141 kW (192 PS) über 188 kW (256) bis 235 kW (320 PS) bei jeweils 2500/min Nenndrehzahl. Die beiden stärkeren Ausführungen sind für den Fernverkehr gedacht. Mercedes-Benz deutet bereits bei der Vorstellung künftige Varianten mit Abgasturbolader an.

 

Das neue Fahrerhaus verbessert mit gerundeten Kanten und leicht schräg gestellter Windschutzscheibe die Aerodynamik und senkt damit ebenfalls den Dieselverbrauch. Damit nicht genug: Das hydraulisch kippbare Fahrerhaus ist bald in zahlreichen Varianten verfügbar. Zur kurzen Kipperkabine von 1973 gesellt sich 1974 das um 600 Millimeter verlängerte Fernverkehrs-Fahrerhaus. 1977 folgt eine mittellange Variante, 1979 das sowohl breitere als auch höhere Großraum-Fahrerhaus.
Der Komfort ist in jeder Hinsicht gestiegen. Dank besserer Isolation deutlich gesenkte Innengeräusche, mehr Kopffreiheit, bessere Rundumsicht durch tief gezogene Front- und Dreiecksfenster, ein zweifach verstellbares Lenkrad für das Spitzenmodell Mercedes-Benz 1632.

 

Der Drehzahlmesser verfügt erstmals über einen grün gekennzeichneten Bereich für wirtschaftliches Fahren. Links am Lenkrad vereinigt der neue Kombischalter die Funktionen von Blinker, Wischer, Fernlicht, Lichthupe und Signalhorn. Der Beifahrersitz für die Zweimann-Besatzung verfügt über eine Kopfstütze und Armlehnen.

 

Die Zwei- und Dreiachser sind als Motorwagen sowie Sattelzugmaschine ab 1975 wahlweise luftgefedert lieferbar. Typisch für den Rahmen ist ein so genannter Fischbauch: Verjüngte Enden halten die Bauhöhe niedrig.
Das Thema Sicherheit bekommt einen zunehmenden Stellenwert. Instrumententafel und Brüstung sind mit einer hinterschäumten Sicherheitsauflage überzogen, Griffe und Bedienungshebel bestehen aus flexiblem Material. Türen, Türsäulen, Dachrahmenträger und Rückwand verfügen über eine verformbare Kunststoff-Auflage. Serienmäßig an Bord sind Befestigungspunkte für die optional erhältlichen Dreipunkt-Automatikgurte. Für eine wirksame Heizung und Lüftung hat man sich viel Mühe gegeben, eine Klimaanlage ist jedoch weit entfernt.

 

Grundlegend weiterentwickelt tragen die schweren Lkw ab 1980 intern die Bezeichnung „Neue Generation 80“ (NG 80). Nach langem Zögern setzt die Marke nun auf Turbomotoren. Für den Fernverkehr rückt der V8 in den Mittelpunkt. Sein Hubraum klettert auf 14,6 l, die Leistung beträgt als Drosselmotor 184 kW (250 PS, Typbezeichnung als Zweiachser: Mercedes-Benz 1625), als Saugmotor steigt sie auf 206 kW (280 PS, Modell 1628). Krönung der Baureihe sind ein Turbomotor mit 243 kW (330 PS, zunächst nur für Omni­busse) sowie ein Turbomotor mit Ladeluftkühlung und 276 kW (375 PS, Bezeichnung 1638).

 

Auch Haltbarkeit der Aggregate bedeutet Wirtschaftlichkeit: 500 000 km ohne Überholung sind Anfang der Achtziger Jahre Stand der Dinge.
Neben einer Steigerung von Leistung und Drehmoment steht nach den vorausgegangenen zwei so genannten Ölkrisen niedriger Kraftstoffverbrauch im Mittelpunkt – Dieselkraftstoff kostet inzwischen etwa 60 Euro-Cent pro Liter. Viel Leistung und damit Drehmoment bei moderaten Drehzahlen und eng gestufte 16-Ganggetriebe unterstützen das Ziel. Lange Übersetzungen heißen jetzt rund 1600/min bei Tempo 80 km/h, das Motto im Fahrertraining von Mercedes-Benz lautet: „Im achten Gang durchs Dorf“. Das bedeutet 1000 Touren und eine ganz neue Öko-Fahrweise.

 

Dies gilt auch innerhalb der Kabine: Neu sind unter anderem neben einem wohnlicheren Interieur, ein Lenkradschloß und der Ersatz des klassischen Starterknopfes durch Start und Stop per Zündschlüssel. Die präzise Kennzeichnung des zentral angeordneten Drehzahlmessers ist in zeitgenössischen Tests ebenso eine Erwähnung wert wie ein dreidimensional geformter Dachspoiler.

 

Zusammen mit dem gleichzeitig eingeführten Großraum-Fahrerhaus (zunächst nur für das Spitzenmodell 1638) profitieren Fahrer von neuen Komfort-Ausstattungen wie einem elektrisch einstellbaren Außenspiegel rechts und elektrischer Betätigung des rechten Seitenfensters.

 

Mit den 38 Tonnen in Deutschland verbraucht der stärkste Mercedes-Benz im Test exakt 33,2 Liter/100 km und erreicht ein Durchschnittstempo von 65,6 km/h – angesichts seiner Leistungsfähigkeit sind das günstige Werte. Der Mercedes-Benz 1628 schneidet mit kaum mehr als 38 Litern ebenfalls gut ab, erreicht eine Umlaufgeschwindigkeit von rund 60 km/h. Mittendrin steckt der Mercedes-Benz 1633 mit 37 Litern bei ebenfalls 65 km/h.

 

lupe_anima  Mercedes-Benz Actros

 

Anfang der Achtziger Jahre ermöglicht das neue Zeitalter der Digitaltechnik in der Elektronik neue Regelungsmöglichkeiten. 1981 führt die Marke das Antiblockiersystem ABS für schwere Nutzfahrzeuge ein. Als nächster Schritt folgt die Antriebs-Schlupfregelung ASR – in seiner Funktion eine Umkehrung von ABS – als Traktionshilfe und Sicherheitssystem.

 

Bei der Vorstellung der Generation NG 80 werden die Automatisierung von Kupplung und Getriebe zum Thema. Im Mittelpunkt steht unter dem Eindruck erhöhter Kraftstoffpreise die damit erzielbare Wirtschaftlichkeit. Aber auch die Entlastung des Fahrers ist ein starkes Argument.

 

1985 erhalten die schweren Lkw serienmäßig die Elektropneumatische Schaltung (EPS). Ein handlicher Joystick löst den gewohnten Schalthebel ab, ein leichter Klaps mit der Hand plus Betätigung des Kupplungspedals reicht für den Gangwechsel – eine wesentliche Erleichterung. Der Schalthebel hat keine mechanische Verbindung mehr zum Getriebe, er fungiert als Geber. Schaltvorgänge werden gemäß der Empfehlung des Elektronenhirns durch Betätigung der Kupplung eingeleitet, alternativ kann der Fahrer Gänge vorwählen und per Tritt auf die Kupplung einlegen.

 

Gleichzeitig verdienen sich neue Leistungsvarianten des V8 mit 260 kW (354 PS)  und 1600 Nm Drehmoment) sowie 320 kW (435 PS, 1765 Nm) ihre Meriten. Der Sprung ist enorm: Ein 1635 hat nun mehr Drehmoment als der 1638. Damit nicht genug: Im Zuge der absehbaren Begrenzungen von Schadstoffen im Abgas hält für die Motoren eine Elektronische Diesel-Regelung (EDR) Einzug. Der maximale Einspritzdruck explodiert geradezu von 175 bar auf knapp 1000 bar.  Ergebnis ist unter anderem eine niedrige Drehzahl von nur 1300/min bei Autobahntempo 80 km/h. Kosten sind so wichtig wie nie zuvor – der Liter Diesel ist in Deutschland inzwischen auf 68 Euro-Cent gestiegen. Gewichtsoptimierte Rahmen senken das Gewicht einer zweiachsigen Sattelzugmaschine auf nur knapp sieben Tonnen – trotz der inzwischen komfortablen Ausstattung mit wirksamer Geräuschisolierung, Schwingsitz und allerlei elektrischen und elektronischen Helfern bis hin zur Temperaturregelung im Fahrerhaus. Das Ergebnis ist faszinierend: Der neue Mercedes-Benz 1644 fährt rekordverdächtige Ergebnisse ein, 33,0 Liter l/100 km bei einem Tempo von 67,7 km/h. Ebenfalls auf niedrigem Niveau liegt das Innengeräusch von nur 68 db(A) bei 80 km/h. Der bullige Mercedes-Benz 1635 steht mit 33,9 l/100 km und exakt 66 km/h kaum nach.

 

Hinauf geht es gleichzeitig mit den zulässigen Gewichten: Last- und Sattelzüge dürfen in Deutschland ab 1986 nun 40 t wiegen, Zweiachser-Solowagen 17 t, auch die zulässige Achslast der Antriebsachse steigt von 10 auf 11,0 t, 1989 weiter auf 11,5 t. In Europa jedoch herrscht keine Einigkeit bei Maßen und Gewichten. Die Länge von Lastzügen ist zwar nahezu durchweg auf 18 m begrenzt, Sattelzüge jedoch sind zwischen 15 m (Deutschland, Griechenland, Irland) und 16,5 m lang (Spanien). Noch größer ist die Diskrepanz bei den Gewichten von Last- und Sattelzügen: Die Spanne reicht von der Schweiz mit 28 t und Großbritannien mit 32,5 t, bis zu den 44-t-Ländern Belgien, Dänemark und Italien sowie den Niederlanden mit 50 t.

 

lupe_anima  Mercedes-Benz Transalp Trucking 2010 - Konvoi auf dem San Bernardino-Pass

15 Jahre zuvor vorgestellt erhält die schwere Baureihe von Mercedes-Benz ausgangs der Achtziger Jahre nochmals eine gründliche Überarbeitung.  Äußerlich ist sie auf den ersten Blick an den Seitenfenstern mit schräger Brüstung und einem wuchtigen, breit gezogenen Kühlergrill zu erkennen. Die Konturen des Fahrerhauses bleiben erhalten, doch im Innern ändert sich enorm viel.

 

Da wären zum Beispiel grundlegend überarbeitete Motoren. Der V8 wächst als Saugmotor im Hubraum auf 15,1 Liter, die Turbos verharren bei 14,6 Liter. Der V8 ist nun in Leistungsstufen mit 260, 290, 354 und 435 PS (191, 213, 260 kW) zu bekommen. Krönung ist eine Ausführung mit 353 kW (480 PS) und 2000 Nm Drehmoment – der stärkste Straßen-Lkw Europas. Zünddrücke von 140 bar, nochmals längere Übersetzungen auf rechnerisch rund 140 km/h, gleichbedeutend mit 1200/min bei 80 km/h, drücken den Kraftstoffverbrauch. Die Nenndrehzahlen sinken von 2300/min auf 2100/min – bei Einführung der Baureihe 400 beliefen sie sich noch auf 2500/min – Zeichen einer völlig anderen Leistungs-Charakteristik.

 

40 Tonnen irritieren den Mercedes-Benz 1748 nur wenig: Mit 72 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit und einem Verbrauch von nur rund 34 l/100 km erzielt er herausragende Testergebnisse. Bei den Kraftstoffpreisen herrscht kurzzeitig Entspannung: Sie sinken im Jahresschnitt auf 45 Euro-Cent pro Liter.

 

lupe_anima  Die drei Mercedes-Benz Kurzhauber 1920 vom Churer Unternehmen Fischer

 

Mercedes-Benz verfeinert die schweren Lkw in zahlreichen Punkten. Einzug hält ebenfalls eine neue Generation von Getrieben, jetzt erstmals aus eigener Fertigung und mit einem leichten Aluminiumgehäuse versehen. Im Cockpit wölbt sich die Armaturentafel dem Fahrer entgegen, Durchlichttechnik erhellt die Instrumente, die Regler von Heizung und Lüftung sind zum Fahrer geneigt. Kleineres Lenkrad, Veloursbezüge ab mittlerer Fahrerhausgröße, mehr Ablagen, im großen Fahrerhaus ein Kleiderschrank – die Ausstattung wird zunehmend komfortabler. Wer Sicherheitsgurte ordert, erhält eine höhenverstellbare Ausführung.

 

Darüber hinaus beherrschen Umweltthemen die Diskussion. Seit 1988 gilt Euro 0, nun liegen die Abgasgrenzwerte für die nächste Hürde Euro 1 fest, vorgeschrieben ab 1993. Euro 1 definiert erstmals einen Maximalwert für Partikelemissionen. Auch lärmarm sollen Lkw sein, erkennbar an einem grünen Aufkleber. Mercedes-Benz reagiert bereits 1991 mit den LEV-Motoren (Low Emission Vehicles).

 

Die neuen Typenbezeichnungen 1831, 1834, 1838, 1844 und 1850 deuten nicht nur auf eine neue Staffelung der Leistung hin, auch auf veränderte zulässige Gesamtgewichte: 18 Tonnen für den Zweiachser bei unverändert 40 Tonnen für Last- und Sattelzüge in Deutschland. Es ändert sich mehr als nur die Bezeichnung: Mercedes-Benz kehrt mit Ausnahme der beiden Spitzenmotorisierungen zu den einstigen kleineren Hubvolumen mit 9,6 l (V6, Baureihe OM 401) und 12,8 l (V8, OM 402) zurück. Indes haben die Triebwerke außer dem Hubraum und 125 mm Bohrung sowie 130 m Hub nichts mit den früheren Triebwerken gemein: Alle Triebwerke treten mit Abgasturbolader und Ladeluftkühlung an, die große Ära der Saugdieselmotoren mit Stern ist vorbei. Der maximale Einspritzdruck überschreitet erstmals die Grenze von 1000 bar, die Nenndrehzahl sinkt abermals um 200/min auf nur mehr 1900/min. Das Flaggschiff durchbricht mit einer Leistung von 370 kW (503 PS) eine Schallmauer, auch 2020 Nm Drehmoment sind nicht von Pappe.

 

lupe_anima In der Via Mala,  Graubünden

 

Steigende Komfortansprüche sowie der Wunsch nach mehr Sicherheit führen 1996 zu der Mercedes-Benz-Baureihe Actros. Das Fahrerhaus ist sanft auf Luftfederbälgen gelagert. Die Windschutzscheibe steht zugunsten des Innenraums steiler als bisher, trotzdem haben die Entwickler die Aerodynamik verbessert. Die Schlafkoje mißt in der Breite bis zu 75 Zentimeter; unter ihr wartet viel Stauraum. Rechterhand recken sich dem Fahrer Regler und Tasten entgegen. Das Platzangebot ist bestechend: Bereits das L-Fahrerhaus für den Fernverkehr hat 25 Prozent mehr Volumen als das bisherige Großraum-Fahrerhaus.

 

Unter der Kabine finden sich weiterhin Sechs- und Achtzylinder in V-Anordnung. Doch die neu entwickelte Motorenbaureihe 500 glänzt mit Einspritzung per Einzelsteckpumpen, mit Vierventiltechnik und einer vollelektronischen zylinder­individuellen Regelung. Die Sechszylinder mit zwölf Liter Hubraum reichen in vier Leistungsstufen von 230 kW (313 PS) hinauf bis 315 kW (428 PS). Die Achtzylinder mit 15,9 Liter Hubvolumen erzielen in drei Varianten zwischen 350 kW (476 PS) und maximal 420 kW (571 PS). Ein weiterer Punkt unterstreicht die herausragende Wirtschaftlichkeit des Actros: Sein Triebwerk hält bis zur ersten Überholung mindestens eine Million Kilometer.

 

Nicht weniger revolutionär sind die Bremsen des neuen Actros. Scheibenbremsen an allen Achsen, die elektronische Bremsenregelung EBS - der Bremsweg ist drastisch reduziert. Eine Verschleißharmonisierung kalkuliert die Belastung radindividuell so gekonnt, daß alle Beläge gleichmäßig verschleißen. Zusammen mit elektronisch geregelten Scheibenbremsen am Auflieger bremst sogar der komplette Zug harmonisch.
Der Actros 1848 mit 350 kW (476 PS) fährt im Test mit 33,3 l/100 km einen herausragenden Verbrauch ein und ist gleichzeitig mit 73 km/h ausgesprochen flott unterwegs.

 

lupe_anima  Endstation - angekommen in Lostallo, Graubünden

 

An der Schwelle zum neuen Jahrtausend präsentiert Mercedes-Benz anlässlich der IAA 2000 als erster Lkw-Hersteller das Elektronische Stabilitäts-Programm ESP.
Angesichts von Dieselpreisen von 80 Euro-Cent an deutschen Tankstellen steht Wirtschaftlichkeit im Mittelpunkt.

 

Das unterstreicht eine umfassende Modellpflege (bei Mercedes-Benz MOPF genannt) im Sommer 2002. Fahrer freuen sich über ein komplett neues, harmonisch geschwungenes Cockpit. Neue Instrumente, ein Lenkrad mit Bedientastatur, hochwertige Materialien mit Limousinen-Komfort, aufwendige Klimaanlage, eine Liege mit punktelastischer Federung – der Actros ist Fahrers Traum. Unter der Kabine arbeiten Motoren mit leicht erhöhter Leistung und vor allem reichlich Drehmoment. Die Spanne der Baureihe 500 reicht nun beim V6 von 235 kW (320 PS) bis 335 kW (456 PS) und von 370 kW (503 PS) bis 425 kW (578 PS) für den V8. Zu den technischen Änderungen gesellt sich mit Wartungsintervallen bis 120 000 km nochmals verbesserte Wirtschaftlichkeit.

 

Das Ergebnis überzeugt: Der Mercedes-Benz Actros 1841 (300 kW/408 PS) verbraucht im Test nur 32,8 l/100 km und ist gleichzeitig mit 73,2 km/h verblüffend zügig unterwegs. Der Actros der zweiten Generation ist also ebenfalls ein Lkw für Unternehmer. Der Actros 1854 mit V8-Motor und 395 kW (537 PS) fährt dem kleineren Bruder mit exakt 75 km/h auf Langstrecken davon, der Verbrauch von 35,8 l/100 km ist sehr moderat.

 

Verbrauch und Abgasemissionen rücken erneut ab Herbst 2004 ins Zentrum. Mit Blick auf die bevorstehenden Abgasstandards Euro 4 (ab Herbst 2005) und Euro 5 (Herbst 2008) setzt Mercedes-Benz auf die neue BlueTec-Motorentechnologie mit spürbar geringerem Kraftstoffverbrauch.
Und der Actros kann noch mehr als zuvor: direktere Lenkung, nochmals perfektioniertes Powershift-Getriebe. Gleiches gilt für die Standklimaanlage. Luftpresser und Wasserpumpe arbeiten nun bedarfsgeregelt. Das spart Kraftstoff, und ist angesichts von einem Tankstellenpreis von durchschnittlich 133 Cent zeitgemäß. Regen- und Lichtsensor unterstützen den Fahrer. Er blickt auf neu gestaltete Instrumente. Rasierspiegel und Handtuchhalter helfen bei der Körperpflege. Die Liege verfügt jetzt über eine Niveauregulierung, ein Druckluftanschluss hilft beim Reinigen dieses ebenso funktionellen wie eleganten rollenden Arbeitsplatzes.
Er hat mit seinen Vorfahren vor 50 Jahren nur noch den Stern gemein.

 

 

jwp 15.2.2013

 

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