22. Februar 2011

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paul Graetz
Die erste Afrika-Durchquerung mit dem Auto

 

Eine Fahrt gegen Zeit, Wind und Wetter

 

Am 1. Mai 1909 endet die erste Afrika-Durchquerung im Automobil, als Paul Graetz in seinem Spezialfahrzeug der Süddeutschen Automobilfabrik Gaggenau GmbH, ein Vorläufer-Unternehmen der Benz-Werke Gaggenau, die Stadt Swakopmund im heutigen Namibia, damals Deutsch-Südwestafrika, erreicht. Eine Zahl charakterisiert die Großtat besonders gut: Durchschnittlich gerade mal 15 Kilometer Fahrstrecke am Tag sind ein beredtes Zeugnis aller Mühsal der 630 Tage dauernden, über 9500 Kilometer reichenden Reise.

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 Foto-Rarität von 1909.

 

Sie begann am 10. August 1907 in Dar-es-Salaam im heutigen Tansania, damals Deutsch-Ostafrika. Fast ein Jahr und zehn Monate ist Graetz unterwegs, veranschlagt hatte er zwölf Monate. Unterwegs begegnet ihm alles an Unbill, was ein Kontinent wie Afrika bereithält – vieles davon auch heute noch. Denn, ein Abenteuer wäre eine solche Fahrt selbst in einem mit modernster Technik ausgestatteten Geländewagen, immer noch.

 

Die Fahrt gelingt nicht zuletzt aufgrund der Zuverlässigkeit seines Autos. Die nach den Vorstellungen von Graetz gebaute Spezialanfertigung der Süddeutschen Automobilfabrik Gaggenau wird vom Berliner Hersteller Neuss mit einem Sonderaufbau versehen. Das Omnibuschassis hat besonders große Räder der Dimension 1120/120 und Holzklötze unter den Blattfedern, um die Bodenfreiheit zu erhöhen – der tiefste Punkt des Wagens liegt 35 Zentimeter über dem Grund.

 

„In der mit amerikanischem Verdeck ausgestatteten Karosserie lassen sich durch Zurückklappen der Rücklehnen der Vordersitze zwei bequeme Lager erstellen“, beschreibt Graetz in seinem 1910 erschienenen Buch „Im Auto quer durch Afrika“. Wie damals noch üblich, befindet sich das Lenkrad rechts.

 

Der moderne Vierzylinder-Motor hat Magnetzündung und Wasserkühlung, er leistet 35 PS und treibt über einen Kettenantrieb die Hinterachse an; die Zahnräder der Übersetzung sind austauschbar, um auch steile Wegstrecken bewältigen zu können. Ein 250 Liter fassender Benzinzank ist unter den Hintersitzen montiert, der zweite vordere Tank fasst noch einmal 145 Liter. Im Hohlraum der vier Reservereifen am Wagenende ist eine Blechtrommel für Proviant eingelassen.

 

Der Oberleutnant der Ostafrikanischen Schutztruppe Paul Graetz, geboren am 24. Juli 1875 in Reichenau bei Zittau/Sachsen, ist vom Automobil überzeugt. Er möchte mit seiner Fahrt zum einen beweisen, daß es schwierige und lange Wegstrecken bewältigen kann, und daß es sich zum anderen für Lastentransporte im Hinterland des schwarzen Kontinents eignet, die dort auf dem Rücken von Kamelen, mit Ochsenkarren und auf den Köpfen der Bewohner bewältigt werden. Sein Plan der Afrikadurchquerung von Ost nach West reift, doch niemand traut sie ihm zu. Schließlich finanziert Graetz das Unternehmen aus eigenen Mitteln. 75.000 Goldmark setzt er dafür an, 13.000 Goldmark kostet allein das Automobil; die Fahrt wird schließlich die doppelte Summe kosten.

 

Graetz lässt das Auto 1904 während eines Heimaturlaubs bauen. Bis es mit dem Dampfer „Feldmarschall“ nach Dar-es-Salaam gelangt, vergehen jedoch noch drei Jahre. Denn Graetz, der sich für sein Vorhaben von der Armee hat beurlauben lassen, muß die Reise sehr genau planen. Was bei der Fahrstrecke schnell geschehen ist: Straßen existieren kaum, quer durchs Land wird er sich an Trampelpfaden für Fußgänger und Karawanenwegen orientieren – die freilich meist nur Kamelbreite haben. Den deutlich mühsameren Teil der Vorbereitung nimmt die Etappenplanung in Anspruch, um auch unterwegs mit Treibstoff und Lebensmitteln versorgt zu werden.

 

Der Abenteurer legt 24 Lagerstellen fest und gibt Aufträge an Unternehmen, Missionen oder Farmer, dort Benzinfässer, Ölkanister, Reifen, Schläuche sowie andere Ersatzteile zu vergraben. Er läßt die Stellen eigenwillig, aber auch sehr wirkungsvoll und eindeutig kennzeichnen, um Diebstahl vorzubeugen und seine Besitzansprüche zu markieren: mit einem einfachen Grabkreuz, das den Namen „Graetz“ trägt. Insgesamt lässt er rund 6000 Liter Benzin, mehr als 200 Liter Öl, 25 Gummireifen und 33 Schläuche deponieren, und das meiste davon wird er unterwegs auch wieder vorfinden, was angesichts der Reisedauer fast an ein Wunder grenzt.

 

Am 3. August 1907 ist Graetz mit seinem Reisegefährten Theodor von Roeder und dem Chauffeur Neuberger, gleichzeitig ein im Gaggenauer Werk geschulter Mechaniker, in Dar-es-Salaam gelandet. Die zweieinhalb Tonnen schwere Holzkiste mit dem Automobil wird behutsam am Kai abgesetzt, das Gefährt herausgeholt, die Betriebsstoffe eingefüllt, die Anlasserkurbel betätigt: Der Motor springt an und gibt Zuversicht, daß das Unternehmen aus technischer Sicht gelingen wird. Selbstredend sorgt das Auto für Aufsehen, denn so etwas hat man in Afrika noch nicht oft gesehen – und dann sieht es mit seinen großen Rädern zudem sehr beeindruckend aus.

 

Graetz stellt noch den einheimischen Koch Mtsee ein, um die mobile Reisegesellschaft zu verpflegen. Von vornherein ist geplant, sich nicht nur mit konservierten Lebensmitteln zu verpflegen, sondern sich mit dem Gewehr aus dem Land mit frischem Fleisch zu versorgen. Das Gewehr wird aber auch dabei helfen, sich unliebsamer Raubtiere zu erwehren.

 

Bei den ersten Fahrten durch Dar-es-Salaam stellt man fest, daß das Auto viel zu schwer ist. Die Gepäck- und Proviantmenge wird auf das Nötigste beschränkt, Kotflügel und die Auspuffanlage werden abgebaut. Von nun an tönt der Motor sehr markant und bringt Graetz seinen Spitznamen ein: Die Afrikaner nennen ihn auf Suaheli „Bwana Tucke Tucke“, was sich frei als „Herr des Motorwagens“ übersetzen lässt.

 

Dem Aufbruch steht nun nichts mehr im Wege, er passiert um 17.20 Uhr am Nachmittag des 10. August. „Die Sonne stand schon tief am leicht bewölkten Himmel, als das Automobil vom Postamt Dar-es-Salaam, wo die Startdepeschen nach Europa aufgegeben wurden, unter dem Jubel der vielköpfigen schwarzen Menge sich knatternd in Bewegung setzte, um durch die menschengefüllte Akazienstraße die Richtung nach Pugu, 20 Kilometer, unserem heutigen Ziele, einzuschlagen“, schreibt Graetz in seinem Buch. „Eine 20prozentige Steigung auf sandiger Serpentine gibt dem Motor die Gelegenheit der ersten Probeleistung, die er glänzend quittiert.“

 

Die Fahrt während der kommenden Monate klappt jedoch nur selten zügig, meist ist sie eins: mühselig. Die Wege sind schlicht und einfach nicht auf das Automobil ausgelegt, sie sind schmal, uneben und voller Hindernisse, die ein Mensch oder ein Tier problemlos umgehen kann, ein Auto aber als unbeweglichen Koloss erscheinen lässt. Da erweist sich Graetz’ Idee, dem Fahrzeug mittels der großen Räder eine üppige Bodenfreiheit zu verschaffen, als Mindestmaß weiser Voraussicht. Dennoch wird der Wagen immer wieder über große Strecken gezogen und geschoben, oft mit Hilfe vieler Eingeborener.

 

Größere Hindernisse erfordern größeren Aufwand: Im Sumpf versinkt das Auto – es werden kilometerlange Knüppeldämme gebaut. An Flüssen existiert keine Fähre und über Schluchten keine Brücke, die groß genug für das Fahrzeug ist, Hänge sind zu steil, als dass es sie aus eigener Kraft erklimmen könnte – immer wieder, insgesamt 32 Mal, wird es auseinander gebaut und in Einzelteilen über das Hindernis transportiert, stets rekrutieren die Abenteurer Eingeborene, die ihnen dabei helfen. Insgesamt 28 Behelfsbrücken werden gebaut. Das alles ist sehr zeitraubend. Für den längsten Aufenthalt sorgt eine Flussdurchfahrt: Bis zur Mitte kommt das Auto, dann platzen zwei der vier erhitzten Zylinder aufgrund der Berührung mit dem kalten Wasser. Der Chauffeur Neuberger reist nach Deutschland, um Ersatz zu besorgen. Außerdem werden ihm wohl die Strapazen der Reise zuviel: Nach drei Monaten kehrt ein anderer Mechaniker der Gaggenauwerke zurück, und die Fahrt geht weiter.

 

Insgesamt wird Graetz vier Chauffeure „verschleißen“, die sich auch immer wieder mit mechanischen Problemen am Auto beschäftigen. Denn die Technik mag zwar grundsätzlich robust sein, unter den harten Bedingungen in Afrika tritt doch mancher Defekt auf, der mangels exakter Ersatzteile mit Improvisation und Einfallsreichtum behoben werden muss. Aber das schreckt keinen der Teilnehmer, solche Zwischenfälle gehören – bis auf die großen Pannen – zum Alltag eines Automobilisten in den frühen Jahren des Automobils.

 

Abenteuerlich ist auch die Fahrt auf dem Damm einer neu gebauten Eisenbahn: Sie ist nicht nur holprig auf den Schwellen, den Abenteurern kommt natürlich prompt einer der damals noch sehr raren Züge entgegen. Gerade noch rechtzeitig kann der Chauffeur das Auto in die Büsche retten. Auch klimatische Bedingungen machen Graetz und seinen Gefährten auf der Fahrt zu schaffen. Hohe Temperaturen und Luftfeuchtigkeit setzen ihnen zu, sie geraten in Sandstürme, werden von Durst gepeinigt. Malaria verschont sie nicht, sorgt immer wieder für Zwangsaufenthalte. Aber rasche Meriten werden auch verdient: Bei den Viktoria-Wasserfällen fährt Graetz als erster mit einem Automobil über die Sambesi-Eisenbahnbrücke, und im Passierschein vermerkt der Beamte: „First Motor Car to cross Sambesi River Bridge.“

 

Schließlich geht auch noch das Geld aus. Die gesamte Unternehmung ist ein äußerst kostspieliges Unterfangen. Doch Graetz beweist Einfallsreichtum: Er hat unterwegs sehr viel fotografiert, läßt das Material entwickeln und hält in deutschen Kolonial-Städten Vorträge über seine Afrika-Durchquerung. Der Lohn dafür fließt in barer Münze und läßt ihn seine Fahrt fortsetzen.

 

Weihnachten 1908 wird in Johannesburg gefeiert, zugleich der südlichste Punkt der Reise. Vergleichsweise rasch nähert man sich jetzt Deutsch-Südwestafrika, doch dazwischen liegt noch ein gewaltiges Hindernis: die Kalahari-Wüste. Die Durchquerung beginnt am 10. Januar 1909, das Auto hat 800 Liter Benzin und 100 Liter Öl geladen.

 

Die Abenteurer werden noch einmal von den Elementen in ihrer Reinstform gepeinigt, Sand, Hitze, Wasser setzen ihnen in allen Varianten zu. Doch sie schaffen es. 13. März: In der Ferne erblickt Graetz den Turm der Polizeistation Rietfontein mit der schwarz-weiß-roten Flaggen – Deutsch-Südwestafrika. Bis die Expedition in der Hauptstadt Windhoek ankommt, dauert es jedoch weitere vier Wochen, denn die Regenzeit hat inzwischen begonnen und läßt Flüsse zu unüberwindlichen Hindernissen werden.

 

Am 6. April kommt Graetz in Windhoek an. Trotz eines großen und herzlichen Empfangs hält es ihn nicht sehr lang in der Stadt, er strebt seinem Ziel entgegen. Am 25. April 1909 bricht er wieder auf und durchquert erfolgreich die Namib-Wüste.

 

Am 1. Mai rollt er am Ortschild von Swakopmund vorbei und erreicht die Atlantikküste: Die Afrika-Durchquerung ist geschafft. Die Männer und das Automobil sind gezeichnet von den Strapazen, doch Graetz ist glücklich: Er hat bewiesen, daß das Hinterland von Afrika mit einem Automobil zu bezwingen ist und daß das Fahrzeug den ungeheuren Belastungen standhält. Noch bevor er ein Telegramm mit der Erfolgsmeldung nach Deutschland schicken kann, erhält er eine Depesche des deutschen Kaisers: „Gut gemacht, mein lieber Graetz. Wilhelm I. R.“ Auch der britische König Eduard VII. beglückwünscht ihn.

 

Das Auto sieht nach 9500 ereignisreichen Kilometern zwar arg mitgenommen aus, ist aber noch vollkommen intakt – wovon sich Kaiser Wilhelm in Hamburg nach Graetz’ Rückkehr persönlich überzeugt. Der weitere Verbleib des Fahrzeugs ist unbekannt.

 

Nach dieser Fahrt hat Graetz die Abenteuerlust gepackt. Er scheidet endgültig aus dem Armee-Dienst aus. Zwei Jahre nach der erfolgreichen Afrika-Durchquerung im Automobil ist er der erste, der den schwarzen Kontinent mit dem Motorboot durchquert, von der Mündung des Sambesi bis zur Mündung des Kongo. Dafür benötigt er zwölf Monate.

 

Eine geplante Durchquerung Neuguineas macht der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zunichte. Graetz wird als Jagdflieger an der Westfront eingesetzt. Nach dem Krieg baut er das Vorläufer-Unternehmen der Lufthansa mit auf. Er stirbt im Februar 1968 in Travemünde, wo er die letzten Jahre seines Lebens verbracht hat. Der Name seines Hauses: „Afrikaruh“.

 

Die Fahrtroute:
Dar-es-Salaam
Tanganijka-See
Viktoria-Wasserfall
Johannesburg
Kalahari-Wüste
Rietfontein
Windhoek
Namib-Wüste
Swakopmund

 

Die detaillierte Reiseroute mit Kartenskizze kann direkt dem Buch „Im Auto quer durch Afrika“ von Paul Graetz, erschienen 1910, entnommen werden.

 

 

jwp 22. Februar 2011

 

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