Beinahe perfekt
Märklin stellt unter dem Label Trix die
Bügelfalten-E 10 für den Gleichstrommarkt vor

 

von  Klaus Honold

 

Über Geschmack läßt sich nicht streiten. Warum? Weil jeder einen anderen hat. Die schönste deutsche Ellok? Vielleicht die 103. Darauf könnten sich jedenfalls viele einigen. Andere aber werden statt weiblich-fließender Ästhetik die knorrig-kantige Form eines Oldtimers mit Stangenantrieb bevorzugen. Ist die E 75 nicht unübertroffen? Nee, dann doch lieber die E 16 mit den großen Speichenrädern auf der Seite gegenüber den Buchli-Motoren. Aber nur in bayrisch-braun, sagt der nächste, in Grün, det is ja janischt.
Deshalb hier ein subjektives Bekenntnis:
Ich finde die Bügelfalten-E 10 am elegantesten, und das Blau der Bundesbahnepoche III ist für mich die schönste Farbe für Elektrolokomotiven.

 

Verwöhnt wurden die Modellbahner damit nicht gerade. Obwohl längst bekannt ist, daß die Epoche III zu den bevorzugten Darstellungs-Zeiträumen der H0-Bahner gehört, versuchten die Hersteller lang, ihnen diese Neigung abzugewöhnen. Man denke an die E 41 von Fleischmann oder die E 94 und die E 17 von Roco, die über Jahrzehnte hinweg einen Bogen um die Epoche III machten.

 

Und die E 10, wahrlich die Standardlok seit Mitte der fünfziger Jahre? Bei Märklin gab es sie alsbald, später auch bei Trix und Fleischmann. Keines dieser Modelle würde heute noch als vorbildgetreu durchgehen. Dann kam Roco. Warum auch immer – deutscher Elloks nahmen sich die Salzburger stets nur halbherzig an. Ohne Kompromisse ging es zumindest unter dem Vorbesitzer des Unternehmens nicht ab. Erst mit dem Eigentümerwechsel änderte sich endlich der Qualitätsanspruch – Beispiel E 80.

 

Doch die E 10 wurde lediglich übernommen. Auch die Rheingoldlok unter den heurigen Neuheiten bringt eine Wiederkehr des alten Modells, das neben vielen Vorzügen den erheblichen Nachteil des tief herabgezogenen Getriebekastens hat, der die luftige Silhouette des Drehgestell-Brückenrahmens konterkariert. Für einmal ist dies nicht nur ein Detail – es stört grundlegend das typische Aussehen der Lok. Ein unnötiger Makel.

 

Die Epoche-III-Offensive, die Märklin für die Saison 2006 angekündigt hatte, ließ da aufhorchen: Dampflok 01, VT 08, Diesellok V 80, Schienenbus VT 98 und E 10 – alle Modelle auch für Gleichstrom unter dem Trix-Label. Würden die Modellbahner nach 50 Jahren endlich eine akzeptable E 10 bekommen?

 

Gegenfrage: Darf man das überhaupt von Märklin erwarten? Nach einem Jahr sieht die Bilanz der Trix-Kunden so aus: BR 01 – ordentlich, VT 08 – nett, V 80 – prima, VT 98 – eine Katastrophe. Wäre noch hinzuzufügen: Köf II erstklassig, T 3 nach Überarbeitung sehr schön, Re 4/4 I sehr gut, Ae 8/14 altbacken. Und die E 10?

 

Ach ja. Noch mal: Es handelt sich um eine Starlokomotive. Unter Strom vom selben Nimbus wie die Nulleins bei den Dampfloks. Oder die V 200 unter den Dieselloks. Märklin hat sich viel Mühe gegeben. Eine glatte 1,0 gibt es für die Gestaltung des (Metall-)Gehäuses: nicht der geringste Anlaß zu tadeln findet sich hier. Fußtritte und Handläufe sind in richtiger Stärke bereits angesetzt, sehr schön ist das Lüfterband gelungen. Erste Sahne auch die Dachgestaltung mit korrekt endenden Leitungen. Die Detaillierung von Hauptschalter, Isolatoren, Laufbrettern, Aufsätzen und Stromabnehmerantrieben ist vorbildlich.

 

Die Stromabnehmer selbst gefallen ebenfalls, auch wenn sie noch mit Steg und Schraube befestigt sind. Man kann sie komplett gegen die richtigen von Sommerfeld austauschen oder mit ein wenig Farbe retuschieren. Gut wirken auch die eingesetzten Lampen und die auf die Scheiben gespritzten Regenwischer – viel besser als überdimensionierte Plastikteile zum fieseligen Einsetzen! Für die Beleuchtung der Lampen hat Märklin einen irritierenden Modus gewählt: jeweils vorwärts das funzelige Gelb von Petroleumlaternen, dazu auf der Rückseite rote Lichter, wie es sie allenfalls nachts, dann aber nur am letzten Wagen gibt ... Was man sich in Göppingen da wohl wieder gedacht hat?

 

Die Beschriftung ist wie immer bei Märklin tadellos. Die Lackierung ist es merkwürdigerweise diesmal nicht. Lokkasten und dazu gehöriger Rahmen wurden matt gespritzt – wobei die Farbtöne selbst korrekt sind. Die Kunststoffansatzteile der Pufferschürzen jedoch haben eine glatte, seidenmatte Lackierung erhalten – und der Unterschied fällt nun unangenehm deutlich auf.

 

Überhaupt, die Schürzen. Die seitlichen sind bereits montiert, über die vorderen muß der Modellbahner sich selbst seine Gedanken machen. Märklin hing mal wieder dem Motto “Zurück in die siebziger Jahre” an und strich den echt auslenkend aufgehängten Normschacht für die Kurzkupplung. Man ist also wieder bei Lima uralt-lavendel. Das bedingt einen extrem weit ausgeschnittenen Bereich der vorderen Pufferbohle – sieht aus wie ein zahnlos grinsender Opa. Montiert man an der Attrappe die Luftschläuche, sieht es zudem aus wie die Kinnhärchen des grinsenden SPD-Vorsitzenden Kurt Beck.

 

Anders gesagt: So geht es nicht. Aus dem Einsatzstück wird sich der Modellbahner eine für gemäßigte Radien passable Kulisse zurechtschnitzen, und für die Bremsschläuche müssen eben in das Metallgehäuse entsprechende Aufnahmelöcher gebohrt werden. Dann ist man schon ein gutes Stück weiter. Federpuffer wären auch nett: Pech, das ist nicht. Alles andere: okay.
Leider: Auch bei der E 10 wird es so hartnäckige Modellbahner geben, die törichterweise darauf bestehen, die Lokomotive auch fahren zu wollen. Ja, muss das denn sein? Andererseits: Wozu ist das Trix-Modell denn sonst angetrieben?

 

Zurzeit kostet es Mut und verlangt Treue, Trix-Bahner zu sein. Einst war die Firma Spitze. Märklin brachte sie ganz runter. Nun geht es aufwärts, das muß man auch sehen. Die E 10 läßt sich leicht auseinandernehmen – wichtig, da die Lager der Motorwelle gefettet werden müssen. Vom Stottern und Kreischen auf dem Gleis darf man sich nicht abschrecken lassen. Nach zwei Stunden Einlaufzeit wird vieles besser.

 

Wunder darf man von Märklin-Konstrukteuren freilich nicht erwarten. Das muß man einfach klar sagen. Und die gegenwärtige Qualität der Fertigung ist so, daß jede Maschine anders ausfällt. So sollte man mindestens drei Modelle prüfen, ehe man sich für eines entscheidet.

 

Märklin wird solche Kritik gewiß nicht gern hören. Wir sprechen hier über die Erfahrungen von Analogbahnern, und es mag sein, daß Märklin antwortet: Analogfahrer sind nicht unsere Zielgruppe.
Das mag sein. Aber falls es so ist, dürfte Märklin seine Modelle dann auch nicht für den Nicht-Digital-Markt herrichten. Immerhin – auch der Analogbahner ist ein Kunde, und für die E 10 muß er etwa 250 Euro zahlen – einen halben Tausender in echtem Geld. Eigentlich müsste er dafür auch eine Art Gegenwert erwarten dürfen: ein Modell, mit dem man reibungslos und und lustbringend spielen kann, um mal das mindeste zu sagen. Nun, Märklin hat Glück. Die Marke Trix – so übel, wie ihr vom Mutterkonzern über die Jahre hinweg mitgespielt wurde, gäbe es längst nicht mehr, stünde hinter ihr nicht eine ganz eigensinnige und auf ihre Weise treue Kundenschaft.

 

Wo kommt diese Treue her? Tja. Sie beruht auf der Erfahrung, daß aus Nürnberg unter diesem Namen einige Modelle auf den Markt kamen, die bis heute unvergessen sind. Der Kittel-Dampftriebwagen. Der Glaskasten. Et cetera. Und vor allem: die V 140. Ja, damals haben die Autoren der Modellbahnpresse vor Schreck die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen – oh Gott! Solch ein Auslauf! Die Lok überfährt womöglich Haltesignale! Viel später erst fing die Fachpresse an, von Loks jene mechanischen Qualitäten zu fordern, die die V 140 hatte – bis heute das Großserienmodell mit den besten Fahreigenschaften aller Zeiten.

 

Von daher nährt sich der Mythos Trix. Märklin wäre schlecht beraten, diesen noch immer sich auszahlenden Vorschuß an Vertrauen weiter aufs Spiel zu setzen. Warum eigentlich? Wer Digital nicht will, den wird man auch mit Zwangsmaßnahmen nicht dazu erziehen können.

 

Die E 10 ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Sie hat zuviel Märklin im Bauch, um Gleichstromfreunde ganz überzeugen zu können – sie ist aber auch viel zu schön, um dieselben Gleichstromfreunde kaltzulassen. Was würde es Märklin kosten, den Gleichstrommarkt richtig zu bedienen? Nichts paradoxerweise. Für den Verzicht auf überflüssige Elektronik ließe sich locker ein besserer Motor mit dem passenden Getriebe bezahlen – eine elegant gleitende E 10 würde Märklin zum Marktführer auch bei diesem Modell machen. Wenn das Unternehmen nur wollte.

 

 

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kh 19. Mai 2007

 

© reflektion.info /alle Fotos: Märklin
Download nur zum nicht-kommerziellen Gebrauch

 

 

 

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