16. Oktober  2009

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

FORTUNA  - Die ALTE LADY wird 100

 

Segeltörns auf der Ostsee

 

Was sind schon 100 Jahre? Für die Erdgeschichte nur ein Wimpernschlag oder wie ein aufsteigendes Kohlensäurebläschen in einem Colaglas, sind 100 Jahre für einen Menschen eigentlich eine sehr lange Zeitspanne, die nur die wenigsten erleben. Wenn dann ein 100. Geburtstag ansteht, ist das Ereignis auch gebührend zu feiern – auch oder gerade bei einem Schiff.

 

So ist es auch bei FORTUNA, dem nun hundertjährigem Frachtsegler.

 

FORTUNAs Geschichte begann, als sie vor gut 100 Jahren auf der Werft von C. van Dongen im niederländischen Zaandam bei Amsterdam auf Kiel gelegt wurde.

 

FORTUNA in der dänischen Südsee                                                                            Foto: MIGNON

 

Das Plattbodenschiff vom Typ Maatkast wurde komplett aus Stahlplatten genietet, das war damals nicht selbstverständlich.  Der Frachtsegler erhielt nur einen, aber dafür sehr langen Großmast. Daran angeschlagen waren das Großsegel als Gaffelsegel und 2 Vorsegel. Die Takelung einer Maatkast war typisch holländisch und wegen der Einfachheit auch leicht zu bedienen, denn auf den meisten dieser Frachtsegler wohnten und arbeiteten der Eigner mit Frau und Kindern. Im Heck des Schiffs  war der Wohnbereich entsprechend ausgebaut, während der übrige Schiffsraum für Fracht genutzt wurde. Alle Familienmitglieder zusammen waren gleichzeitig auch die Mannschaft des Schiffs.

 

Allein mit Segeln auf den niederländischen Flüssen und Kanälen zu fahren, war bei Flaute oder Gegenwind ein mühsames Geschäft. So wurde in den Zwanziger Jahren von den Eignern oft ein kleines Beiboot mit Verbrennungsmotor angeschafft. Man nannte diese Boote Opdouwertje, was soviel wie Anschieberchen heißt.

 

FORTUNA in ihrer niederländischen Zeit                                                                        Foto: MIGNON

 

FORTUNA war fast 30, als sie 1938  an einen deutschen Eigner aus dem ostfriesischen Warsingfehn verkauft wurde. Ein Jahr später wurde als Hauptantrieb ein Dieselmotor eingebaut. Der Motor war zwar recht schwach, und der Mast trug nun keine Segel mehr, sondern diente als Ladegesichirr. Bei anfallenden Reparaturen wurden die neuen  Bleche nun geschweißt, nicht mehr genietet.

 

In den Sechziger Jahren wurde aus FORTUNA unter Aufsicht des Germanischen Lloyd und der See-Berufsgenossenschaft ein klassifiziertes Küstenmotorschiff. Sie erhielt eine modernere Technik sowie neue Luken und Verstärkungen in den konstruktiven Verbänden.

 

FORTUNA als Versorgungs-Kümo am Anleger Juist                                                           Foto: MIGNON

 

In den ehemaligen Wohnräumen des ersten Eigners befinden sich seitdem nun die Hauptmaschine des Schiffs, sowie Hilfsdiesel, Zentralheizung und weitere technische Einrichtungen. Am Rumpf wurden keine konstruktiven Änderungen vorgenommen, dort blieb FORTUNA die alte.

 

Fast 20 Jahre fuhr FORTUNA als Versorgungs-Kümo nun zwischen dem ostfriesischem Festland und der Insel Juist hin und her. 1980 war mit FORTUNA kein Geld mehr zu verdienen, der Eigner hatte sich zur Ruhe gesetzt, die Abwrackwerft war schon gefunden, als Bernd Bunk den Kümo übernahm.

 

Die Idee war, FORTUNA als Gruppen- und Seminarschiff für eine Kapazität von rund 25 Personen einzusetzen.

 

Von 1981 bis 1985 wurde sie überholt und das Schiffsinnere zu der jetzigen Form umgebaut. Während der Umbauphase befand sich das Schiff im historischen Handelshafen der ostfriesischen Stadt Leer. Der Umbau erfolgte unter der Regie des Eigners Bernd Bunk und der Mithilfe von etwa 25 reisenden Handwerksgesellen. Es wurde darauf geachtet, den Frachtschiffcharakter zu erhalten.

 

Bei der Wiederbesegelung fiel die Entscheidung zu Gunsten einer zweimastige Galeass-Takelung, da diese aus verschiedenen Gründen den pädagogischen Zwecken eher entsprach. Man brauchte ja nun nicht mehr am Bedienungspersonal zu sparen, und es ergaben sich entscheidende Vorteile für die Manövrierfähigkeit des Schiffes unter Segeln.

 

Mit dem neuen Rigg sind 425 m² Segelfläche auf die zwei Masten und neun Segel verteilt. Der Segelplan besteht aus Groß- und Besansegel, Fock, Binnenklüver, Außenklüver und Flieger sowie Gaffeltoppsegeln.

 

 Die heutige Takelung als Zweimaster mit 9 Segeln                                           Zeichnung: MIGNON

 

Dazu kam neue Ausrüstung mit einem 170 PS Turbo-Dieselmotor, Echolot, UKW-Funkanlage, Steuerkompass, Radar und GPS.

 

 Nagelbank am Bugspriet: sechs Belegnägeln für die Schoten von Fock und Klüversegel     Foto: jwp

 

In den ersten beiden Jahren war das Fahrtgebiet die deutsche und niederländische Nordseeküste mit dem Ijsselmeer. Seit 1987 ist sie in der westlichen und südlichen Ostsee samt der dänischen Inselwelt, Südschweden und Polen unterwegs. Abfahrts- und Ankunftshäfen sind Kappeln, Kiel, Rostock oder Stralsund, je nach Fahrtzeiten.

 

1992 ging die FORTUNA in den Besitz des Vereins »Mignon Segelschiffahrt e.V.« in Hamburg über.

 

 Vor Anker in der Ostsee                                                                                       Foto: MIGNON

 

Hauptaufgabe des betagten Schiffes ist es, gemeinsame Segeltörns für Menschen mit und ohne Handikap durchzuführen. Während der Sommermonate von April bis Oktober unternimmt der Verein ein- oder auch mehrwöchige Reisen auf der Ostsee, wobei speziell therapeutische, integrative, pädagogische und soziale Einrichtungen die Zielgruppe sind. Ziel ist es hierbei immer, unterschiedliche junge Menschen zusammen zu bringen.

 

Der Verein  wendet sich auch an Jugendliche, Erwachsene und Familien, die als Einzelne oder als Gruppe (bis zu 20 Personen) gemeinsam eine Seereise gestalten und auf einem Großsegler segeln möchten.

 

Bei therapeutischen, integrativen Segelreisen verbringen geistig oder seelisch behinderte und gesunde Kinder oder Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren  ein bis zwei Wochen an Bord zusammen und lernen, vorurteilsfrei miteinander umzugehen.

 

In diesem Sommer, 2008,  haben beispielsweise Schülerinnen und Schüler der Schule für Blinde und Sehbehinderte Hamburg mit ihren Mitstreitern aus der Gesamtschule Blankenese in einer Projektarbeit bewiesen, daß Segeln – wenn man sich gegenseitig aufeinander einstellt - für alle möglich ist.

 

 Das Beiboot wird auch für Landungen genutzt                                                        Foto: MIGNON

 

Dieses positive Beispiel zeigt, daß das Konzept, therapeutisch gut betreute Gruppenfahrten auf einem Traditionssegelschiff durchzuführen, einen richtigen Ansatz verfolgt und somit wertvolle Unterstützung zur Integration junger Menschen leistet. Dieses pädagogische Vorgehen ist in dieser Art und Weise für Hamburg wohl einzigartig.

 

Auch Klassenfahrten und Seminare können auf der FORTUNA durchgeführt werden, da der ehemalige Laderaum eine Größe von 7 x 5 m besitzt und sich bestens als Arbeits- und Unterrichtsraum anbietet.

 

  Der Außenklüver wird gehißt, dafür sind vorher die Reffbändsel der Segel zu lösen           Foto: jwp

 

Die Stammbesatzung der FORTUNA besteht aus einem Skipper und jeweils zwei bis drei erfahrenen Maats. Die Anleitung, die seemännische und nautische Betreuung während der Fahrten, sowie die Pflege des Schiffes vor, während und nach der Segel-Saison übernimmt die Stammbesatzung in ehrenamtlicher Arbeit.

 

 Die Mitsegler bei der Arbeit an Schoten und Segeln                                                         Foto: jwp

 

Die Mitsegler übernehmen bei den Arbeiten an den Segeln feste Aufgaben und stellen in ihren drei Wachen zusätzlich die Versorgung der gesamten Schiffsbesatzung sicher.

 

 Raumplan                                                                                                     Zeichnung: MIGNON

 

Der 30 Meter lange Rumpf ist in mehrere Räume und Abteilungen aufgeteilt. Der achterne Decksaufbau nennt sich Roof. Hier wohnte früher die Eigner mit Familie. Heute befinden sich im Roof die Kammer des Schiffsführers sowie der Kartenraum. Dies ist die Navigationszentrale, sozusagen das Gehirn des Schiffes.

 

 Beiboot und Rettungswesten, unter dem Lukendeckel ist der Laderaum                              Foto: jwp

 

Zu Frachtfahrtzeiten war das ganze Schiff in Kompartimente für verschiedene Ladungen eingeteilt. Diesem Umstand verdankt der letzte übriggebliebene große Raum an Bord seinen Namen — der Laderaum. Alle anderen Frachträume wurden in kleinere Einheiten unterteilt, um angemessenen Schlaf- und Lebensraum für die jetzt zahlenmäßig viel größere Besatzung zu schaffen.

 

Der Laderaum wie er heute genutzt wird...                                                                       Foto: MIGNON

 

Der heutige Laderaum ist Versammlungs-, Eß- und Aufenthaltsraum für alle an Bord.  Auch eignet er sich sich bestens als Arbeits- und Unterrichtsraum. Hier wird gemeinsam am großen Tisch gegessen, aktuelle Wettervorhersagen und Fahrtplanungen werden hier besprochen. Nachts werden bis zu sechs Hängematten zum Schlafen aufgehängt.

 

... und wenn es Nacht wird                                                                                        Foto: MIGNON

 

Wenn der Kartenraum das Gehirn des Schiffes ist, dann ist die Kombüse das Herz. Hier werden die Mahlzeiten vorbereitet, Brot gebacken, abgewaschen, geklönt und Neuigkeiten weitererzählt. Während  der Ankerwachen können die Wachhabenden sich hier bei heißem Tee und Süßigkeiten wachhalten.

 

In der Regel verpflegen sich die Gruppen selbst. Die Kombüse ist mit einem 4- und einem 2-flammigen Propangasherd versehen. Geschirr, Besteck und Töpfe sind vorhanden. Aufbewahrungsräume für Proviant gibt es ausreichend. Ein gutüberlegter Küchenplan trägt viel zum Gelingen einer Fahrt bei. Bei Anmeldung hälr der Verein auf Wunsch Speisepläne und  entsprechende Einkaufslisten bereit. Die Stammbesatzung wird von der Gruppe mitversorgt.

 

Der Salon ist hauptsächlich Wohn- und Schlafbereich der Mitsegler. 14 Kojen sind hier auf zwei Fünf-Bett-Kammern sowie weitere Einzelkojen und -kammern verteilt.

 

Die Vorpiek ist die vorderste Wohnkammer. Auf der FORTUNA schläft hier meist die Stammcrew.

 

 Blick über das Vorschiff                                                                                                  Foto: jwp

 

FORTUNA verfügt über eine sehr gut ausgestattete Werkstatt, so daß nahezu alle wichtigen Reparaturen und Ausbesserungen auch während einer Reise oder in fremden Häfen ausgeführt werden können.

 

Das Magazin ist ein Stauraum, der direkt an die Werkstatt anschließt und Ersatzteile und Vorräte enthält. Eine etwas irreführende Bezeichnung, aber sie ist an Bord etabliert. Der Kohlenkeller ist ein weiterer Stauraum. Daneben ist ein noch ein Stauraum für zusätzliche Segel und Tauwerk und die Speisekammer des Schiffes.

 

 Fock und Außenklüver sind gehißt                                                                        Foto: MIGNON

 

Mit einem Festakt im Sandtorhafen (Hafencity/Magellanterrassen) hat der Verein MIGNON am 24. September 2009 den 100. Geburtstag der FORTUNA gefeiert. Der Festakt leitete ein dreitätiges Rahmen- und Geburtstagsprogramm ein. So wurde der Geburtstag der ALTEN LADY – wie sie liebevoll von namhaften Hamburger Sponsoren genannt wird - natürlich auch mit einer traditionellen Elbfahrt begangen.

 

 FORTUNA während der Geburtstagsfeiern in der Hafencity Hamburg                             Foto: jwp

 

Weitere Veranstaltungshinweise und Anfragen (insbesondere zu Elbfahrten usw.) können jederzeit gerichtet werden an:
MIGNON SEGELSCHIFFAHRTe.V.
Christian-F.-Hansen-Str. 5 – 22609 Hamburg, Telefon: 040 / 82 27 42 - 11,
Email: info@mignon-segelschiffahrt.de
MIGNON ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung therapeutischer,integrativer, pädagogischer und sozialer Jugend- und Erwachsenenarbeit auf Traditionsschiffen

 

 Was der Seesack enthalten soll, zeigt die Vergrößerung                                 Zeichnung: MIGNON   

 

Daten zur FORTUNA
Baujahr:  1909, als Frachtsegler (Typ: Friesischer Maatkast) bei C. van Dongen, Zaandam, Niederlande
Baumaterial:  Genieteter Stahl, bei späteren Umbauten wurde geschweißt
Unterkünfte:  12 Salonkojen, 6 Hängematten, 1 Zweierkammer, 3 Einzelkammern, 2 Notkojen
Zulassung:  25 Personen
Länge über alles  39,50 m, Länge über Deck 30,50,  Breite über alles  6,20 m
Bruttoregistertonnen 120, Bruttoraumzahl 96, Verdrängung 166,9 t, Ballast  ca. 50 t
Tiefgang (achtern) 1,70 m
Gesamtsegelfläche 425,2 m² in Galeass-Takelung.
Antrieb:   Wassergekühlter Henschel 6-Zylinder-Viertakt-Turbo-Diesel-Reihenmotor, 170 PS (125 kW), 11000 ccm, Drehzahlbereich 600-1500 U/min, Baujahr 1964
Propeller: 3-flügeliger Festpropeller aus Bronze, rechtsgängig
Ruderanlage: Plattenruder mit Außenprofilierung
Elektrisches System:  220 und 380 V System für den
Beiboot: Traditionelles hölzernes Rettungsboot für 7 Personen
Sicherheit: Rettungsinsel für 25 Personen, 4 Rettungsringe, sowie Rettungswesten und Arbeitssicherheitswesten

 

 Auf Reede in der dänischen Südsee                                                                   Foto: MIGNON

 

jwp 15. Oktober  2009

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